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Mai 12 2015

Nebengedanken – 3. Folge

Bluntschli  - Eintrittskarte 1980Als ich die „Große Pause“ angekündigt habe, hat mich ein Kommentar gewaltig angerührt, und zwar der von Ulli mit seiner kleinen Hagenbuch-Geschichte.

Viele von euch wissen vielleicht nicht, wer oder was Hagenbuch ist, uns hat er jedenfalls mehr als vierzig Jahre lang begleitet – als Kunstfigur von Hanns Dieter Hüsch, der am 6. Mai 90 Jahre alt geworden wäre.

Seit ich den Kommentar gelesen habe, kommen mir in ruhigen Momenten immer wieder eigene „Hagenbuch“-Geschichten in den Sinn, anscheinend weil diese Figur und Hüschs Erzählform so wunderbar geeignet ist, eigene Gedanken zu formulieren. Dazu muss man natürlich die Originalgeschichten kennen und sich in die Figur hineinversetzen können. Ich glaube, Ulli und ich können das.

Als kleines Dankeschön für diesen „Anreiz“ eine eigene Geschichte:


Hagenbuch hat jetzt zugegeben,

dass er seine durch den vermeintlichen Verlust der Schulzeitreisen ausgelöste Depression weitaus schneller und besser überstanden habe, als er es sich je zu träumen gewagt hätte. Im Gegenteil, er fühle sich jetzt geradezu, als habe er, Hagenbuch, sich soeben völlig neu erfunden, sich selbst und das ganze Universum seines zwischenzeitlich als ärmlich, ja, geradezu armselig beklagten Daseins. Nun sei ihm schlagartig in aller Breite, Tiefe und Gänze bewusst geworden, schreibt Prager an Kretzschmer, dass ihm, Hagenbuch, erst durch diesen Zusammenbruch klar geworden sei, dass er die ganzen letzten Jahre offenbar vollständig nur noch dem Konsum verfallen gewesen sein müsse und alles, was er für seine eigenen Gedanken gehalten und der Menschheit ununterbrochen habe mitteilen wollen, allem Anschein nach, nein, mit absoluter und unbezweifelbarer Gewissheit, zuvor bereits von anderen formuliert worden sein müsse, da er, Hagenbuch, eigene Ideen und Gedanken in dieser Breite, Tiefe und Gänze gar nicht gehabt haben könne, weil er sich vielfach mit den Themen, zu denen er sich geäußert, zuvor noch niemals befasst habe. Daher habe er sich nunmehr auch entschlossen, unverzüglich nach dem Ende seines wiederholten Aufenthalts in der Anstalt Bless-Hohenstein alle noch verfügbaren Exemplare seines Buches „Leben nach dem Tod – Tod nach dem Leben“ aufzukaufen, alle Schutzumschläge neu drucken zu lassen und jedes einzelne Exemplar falsch herum, also auf der hinteren Buchdeckelinnenseite kopfstehend, nein, natürlich nicht er, Hagenbuch, sondern das Buch, eigenhändig zu signieren mit stillen Ausrufen wie: „Da, bitte!“, „Nehmt es hin!“, „Ich hab’s gewusst“ oder einfach nur „Umdrehen!“. Dann wolle er alle diese Bücher Oberschwester Frau Klytemnestra spenden, die sie jeweils nach Gutdünken neuen Patienten zum Empfang auf Bless-Hohenstein überreichen und ansonsten einfach im Giftschrank der Anstalt verschließen möge. Auf jeden Fall solle sie, so Hagenbuchs Wunsch, ein seltenes, weil unsigniertes, Exemplar seinem langjährigen Weggefährten Prager überreichen, der dieses Werk zwar bereits hunderte Male gelesen und mit ihm, Hagenbuch, darüber nächtelange Diskurse geführt habe, dem aber die neue Idee des Buches in Breite, Tiefe und Gänze komplett unbekannt sein müsse. Er, Hagenbuch, selbst habe mit diesem Thema erneut endgültig abgeschlossen, weshalb der neue Umschlag jetzt den Titel: „Leben nach dem Leben“ trage, und das sei tatsächlich und wahrhaftig seine, Hagenbuchs, höchsteigene Erkenntnis, da er sie ständig erneut erfahre, ja, geradezu erlebe, wie auch dieses Mal, beim Verlust der Schulzeitreisen.

1 Kommentar

  1. Runa Borkenstein

    Eine Weile nun
    nachdem sie, Hagenbuchs Enkelin,
    Schlüsselblumen am Wegesrand der Wege,
    die dereinst zur Anstalt in der Kirchstraße führten,
    und wiederum anschließend auch davon weg,
    zur Erschließung der Geschichten ihres
    Großvaters, Hagenbuchs eben, fand,
    begann sie, dem Hin und Her
    derselben nachzuspüren.
    Gleichwohl
    gelang es ihr auch dabei nicht,
    sich der Hagenbuchschen Veranlagung
    zu Endloskettensätzen erneut anheim zu geben.
    Hatte doch einstens in jener Anstalt in der Kirchstraße
    derlei zu heftigster Nichtakzeptanz von Seiten des Lehrkörpers,
    naturgemäß jener Teil der Deutschkundler, geführt, so dass sie,
    trotz genetischer Verankerung, zeitlebens Texte
    vorab gedanklich gängelte und/oder
    im Nachhinein reredigierte,
    bis hin zum klaren
    Dreiwortsatz.
    Nach der Anstalt
    ist vor der Anstalt,
    denkt vielleicht Hagenbuchs Anwalt,
    dreht sich doch mancherlei im Kreise,
    da hilft, ohne Rezept, `ne AnstaltsZeitReise
    nach Bohnert, Hülsen, Königs-/ Buburg & Co.
    „Schwarzer Hund“ an der Leine: Hagenbuch froh.

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