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Mai 28 2015

Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (2)


Im Wohnzimmer der Familie

Im Familienkreis

Das sogenannte „beste Zimmer“ war nur für feierliche Anlässe da, hier stand der Weihnachtsbaum und hier wurden Besuche empfangen. Alles Familienleben spielte sich in dem einen großen Wohnzimmer ab, jedenfalls im Winter: das Schularbeitenmachen, das Handarbeiten, das Lesen und Spielen und natürlich alle Mahlzeiten. Dann mußte der lange Tisch ausgezogen werden, denn wir waren zumeist 12–14 Personen. Außer uns acht Kindern hatten wir durch längere Zeit 2–3 Pensionäre, Schüler vom Lande, die unsere Mittelschule besuchten und ihre Pension teilweise in Lebensmitteln entrichteten, was unserer strapazierten Küche in der knappen Zeit aufhalf.

Wie hat nur unsere liebe Mutter es fertiggebracht, eine so große Tischrunde in der Zeit des ersten Krieges und der nachfolgenden Inflationszeit satt zu kriegen. Mir steht der schreckliche Rübenwinter 1917 vor Augen, in dem es täglich und fast zu jeder Mahlzeit Rüben gab, immer in etwas veränderter Form, sogar Rübenkaffee und Rübenbrot und getrocknete Rüben.

In diesem Winter mußten die Brüder, die in Flensburg das Gymnasium besuchten, täglich mit dem Zug die Fahrt Kappeln–Flensburg und zurück machen, weil ihre Pensionsmutter – Fräulein Thordersen –, sie nicht mehr satt bekommen konnte. Mutter gab ihnen zu essen mit, was sie auftreiben konnte, denn sie mußten morgens um 5 Uhr mit dem Bummelzug fahren und kamen um 5 Uhr zurück.

Am Familientisch

Was dieser lange Familientisch alles erzählen könnte! Lautes Gerede oder gar Gezanke gabs natürlich nicht, auch nicht Kritik über Lehrer oder die Schule überhaupt. Unser Vater war ja ihr Rektor, aber alle anderen Erlebnisse wurden in gedämpftem Ton ausgetauscht. Auch Kritik am Essen war nicht erlaubt, dazu muß ich doch gleich das Erlebnis mit Georg erzählen. Es gab Buchweizenklöße mit Speck und Sirup, von uns allen nicht sonderlich geschätzt, aber Georg fiel dabei herein: er hatte einen Kloß auf seine Gabel gespießt und beknabberte ihn mißmutig von allen Seiten. Plötzlich langte Vater von gegenüber aus zur Ohrfeige, traf aber nicht Georg, sondern den Kloß mitsamt der Gabel, die nun durchs ganze Zimmer bis zur Tür flog. Georg bedeppert hinterher, und als er den Kloß aufsammelte, rief Vater ihm nach: du kannst gleich draußen bleiben. Von einem Kloß wurde Georg nun doch nicht satt und öffnete nach einiger Zeit sachte die Tür und rief durch den Spalt: Adolf, bringst du mir noch einen Kloß! Selbst Vater mußte bei diesem Erlebnis mitlachen.

Ich saß am Ende des Tisches neben Großmutter, unserer „Homa“, wie wir sagten, und dort hatte ichs gut. Für Vater unsichtbar, von Mutters milden Blicken geduldet, schob ich alles, was ich nicht mochte, auf Homas Teller, unsere beiden Teller hatten sich schon sachte einander genähert, zum Ärger der anderen Geschwister am Tischende.unübersehbare Hilfe.


Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (3)
Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (1)