Kappeln an der Schlei 1963
Gymnasium für Jungen Blankenese – Klasse 7a
Verwaltung
Auf unserer Klassenreise bekamen wir den Auftrag, über die Verwaltung von Kappeln und über die übrigen Verwaltungseinrichtungen, die es in Kappeln gibt, zu berichten. Deshalb gingen wir zum Bürgermeister, der uns auf unsere Fragen das Folgende erzählte:
Die Stadt Kappeln hat 4800 Einwohner, von denen etwa die Hälfte Flüchtlinge sind. Sie finden vor allem in der Nestle AG Arbeit. Dort gibt es ungefähr 500 Arbeitskräfte. Im Winter müssen 150 Arbeiter die Fabrik verlassen, da nicht mehr so viel Milch angeliefert werden kann. Diese Arbeiter werden durch das Arbeitsamt weitervermittelt.
Kappeln gehört dem Landkreis Schleswig an. Es gibt 17 Stadtvertreter: 7 CDU, 7 SPD, 2 FDP, 1 GDP. Nur wenige Dänen leben in der Stadt, sie stellen auch keinen Vertreter in den Stadtrat, haben aber eine dänische Schule, die lange nicht ausgenutzt wird.
Die Bevölkerung lebt vom Handel, Gewerbe und der Industrie; auch gibt es 20 Fischkutter, die der Fischereigenossenschaft in Maasholm angehören und nur von Flüchtlingen gefahren werden.
Große Pläne hat die Stadt, durch Industrie-, Schul- und private Bauten sich zu vergrößern. So hat man dazu schon Grundstücke angekauft, will auch eine neue Volksschule, ein Arbeitsamt und eine Turnhalle für die Mittelschule bauen. Arbeiter und Bauunternehmer gibt es genug. Auf die Frage nach Wohnungsnot sagte der Bürgermeister, daß man die Flüchtlinge nach dem letzten Weltkriege erst einmal in die alten Wohnungen mit hineingestopft habe, die Stadtväter aber noch immer Land zukauften, um großzügig und schnell bauen zu können.
Kappeln ist die weitaus finanzkräftigste Stadt von ganz Schleswig-Holstein. Hauptsächlich erhält sie ihr Geld aus der Gewerbesteuer. Von den Einwohnern Kappelns arbeiten nur 800 Personen in gewerblichen Betrieben, dagegen kommen 1300 aus den umliegenden Ortschaften. Auch kommen 1200 auswärtige Schüler in die 6 verschiedenen Schulen. Von Touristen wird Kappeln wenig besucht. Gas gibt es nicht in Kappeln, die Stadt ist vollkommen auf Elektrizität eingestellt, die aus Rendsburg bezogen wird.
Der höchste Beamte ist in Kappeln nicht der Bürgermeister wie in Hamburg, sondern der Bürgervorsteher. Er ist der Repräsentant, während der Bürgermeister das ausführende Organ ist. Sitz der Hauptverwaltung ist im neuen Rathaus. Ihr Chef ist der Bürgermeister. In den einzelnen Ressorts Ordnungsamt, Bauamt, Steueramt, Standesamt, Verkehrsamt, Liegenschaftsamt, Einwohnermeldeamt, Ausweisstelle, Stadtkasse und Hauptverwaltung sind 17 Personen beschäftigt. Die Aufträge der Regierung (Landrat in Schleswig, Landesregierung in Kiel) kommen zur Stadtverwaltung, wo sie an die entsprechenden Stellen weitergeleitet werden. Wenn Aufträge und Vorschläge zum Wohle der Stadt bekanntgegeben werden sollen, müssen sie erst von dem Bürgerverein geprüft yerden.
Weitere amtliche Stellen
Als wir zum Fischmeistereiamt kamen, sagte uns dessen Leiter, der gerade seinen Garten umgrub, daß er Urlaub und keine Lust habe, uns viel zu erzählen. Doch konnten wir nach und nach Folgendes erfahren: Diese Außenstelle der Landesverwaltung für Fischerei in Kiel hat als Aufgabe, die Fischereiboote zu registrieren und zu prüfen. Sie ist eine von 8 Außenstellen.
Der Dienststellenleiter des Pflanzenschutzamtes erzählte uns, daß seine Stelle der Landesregierung in Kiel unterstehe. Die anderen Außenstellen sind in Flensburg, Schleswig und Eckernförde mit 7 bezw. je einem Beamten. In Kappeln sind 5 Beamte tätig. Ihre Aufgabe ist es, Beratungen abzuhalten und Anordnungen zu erlassen. Werden diese nicht befolgt, so verklagt das Pflanzenschutzamt über die Ordnungsbehörde den sich widersetzenden Bauern oder Bürger. Hauptsächlich muß sein Amt aber die Getreide-, Obst- und Pflanzensendungen aus dem Ausland auf Schädlinge untersuchen. Ist eine Sendung verseucht, so geht sie entweder zurück oder wird mit Gas gereinigt. Außerdem müssen in seiner Stelle Geräte und Verfahren zur Bekämpfung der Schädlinge ausprobiert werden.
Der Polizeiposten liegt in der Mühlenstraße. Er verfügt nicht über Wagen, besitzt aber zwei Fahrräder. Der Polizeibezirk Kappeln untersteht dem Polizeiministerium in Flensburg.
Der Bereich der freiwilligen Feuerwehr Kappeln umfaßt Orte bis zum Umkreis von 10 km. Sie verfügt über eine Motorpumpe des Typs Lf 16, Minutenleistung 2000 l., über eine kleine Spritze und eine Ts 8, die beide je 800 l Minutenleistung haben, und eine neue 18 m lange Leiter. Ein neues Tanklöschfahrzeug ist bestellt. Durch gute Ausbildung ist es im Brandfalle möglich, innerhalb von 2 bis 3 Minuten mit 10 bis 15 Mann auszufahren. Die übrigen einsatzfähigen Männer (etwa 60 bis 80) fahren auf einem Lastwagen zur Brandstelle. Bei Großbränden wird die Betriebsfeuerwehr der Nestle AG zu Hilfe gerufen.
Von weiteren amtlichen Stellen ist noch das Amtsgericht zu erwähnen.
Zur gesundheitlichen Betreuung der Einwohner Kappelns stehen 9 Fach- und praktische Ärzte, ein städtisches Krankenhaus, eine Privatklinik und zur wirtschaftlichen Sicherstellung der Patienten die Ortskrankenkasse zur Verfügung. Das allgemeine Krankenhaus hat 25 Betten, die Privatklinik 40 Betten. Die Kreiskrankenkasse ist aus zwei Ortskrankenkassen hervorgegangen. Sie feiert in diesem Jahre ihren 80. Geburtstag, ihr gehören bis heute 401 Ortskrankenkassen an.
9 Zahnärzte sorgen für die Betreuung der Bevölkerung.
Der Bereich der Zollstation Kappeln ist sehr groß. Seine Grenze geht über die Orte Steinberg, Sterup, Norderbrarup, Missunde und Schönhagen. Auf der Schlei fährt für sie eine Barkasse. Im Hafen sind mehrere Posten verteilt, um eine schnellere Zollabfertigung zu erreichen. Die Hauptwache in der Hafenstraße ist nur tagsüber voll besetzt, nachts ist dort nur ein Mann.
12 Kommentare
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Nicolaus Schmidt
15. Oktober 2015 um 16:05 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Seht euch mal das Aufnahmeschreiben an (hier bei Schulzeitreisen) von Hans Dieter Tikowsky an der Klaus-Harms-Schule (1960) – hier sollte der Vater ankreuzen, ob er oder der Schüler Flüchtlinge sind. Dies war damals amtlicherseits immer noch ein Thema.
Grüße
Nicolaus
Katr!n Wummel
11. Oktober 2015 um 11:36 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Danke! Ich bin Jahrgang 63. Mein Vater also zu meiner Geburt noch ein „Flüchtling“? Beschämend!
Runa Borkenstein
11. Oktober 2015 um 14:29 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Kann „Flüchtling“ nicht auch einfach
eine unbewertende Benennung
eines biographischen Sachverhalts sein?
Egal aus welchen Gründen jemand flieht,
selten vermutlich ohne eine Not,
erlebt jeder dieser Menschen
Heimatverlust.
(Körperliche und emotionale Verletzungen
durch Flucht und Neuansiedlung und und und…)
Das Wissen um diesen biographischen Teil von Menschen
kann im Miteinander eigentlich doch nur
zu gegenseitigem Verständnis,
im Sinne von Achtung
und Mitgefühl führen.
Katr!n Wummel
11. Oktober 2015 um 15:18 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Ich danke dir für diese andere Sichtweise.
Katr!n Wummel
11. Oktober 2015 um 08:16 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Erschreckend, dass 18 Jahre nach Kriegsende noch von „Flüchtlingen“ gesprochen wird! :(
admin
11. Oktober 2015 um 13:22 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Wenn man „Flüchtling“ ist, bleibt man es sein Leben lang! Genauso wie „Vertriebener“! Beides ist unumkehrbar und viele trauern bis an ihr Ende der verlorenen Heimat nach. Ich kann daran nichts Erschreckendes oder Beschämendes entdecken. Schlimmer ist es doch, seine Herkunft zu verleugnen oder als Nichtbetroffener die Herkunft der Anderen zu verdrängen oder zu ignorieren.
Wie man in meinem Liening-Beitrag sehen kann, bin – amtlich gesehen – sogar ich noch ein Flüchtling, obwohl ich in Kappeln geboren bin und höchstens nach Kiel „geflüchtet“ bin ;-) . Warum sollte ich das erschreckend finden?
Katr!n Wummel
11. Oktober 2015 um 15:38 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Ich danke Euch für diese andere Sichtweise. Für mich waren bisher Flüchtlinge Menschen 2. Klasse, von denen erwartet wurde, dankbar zu sein, hier aufgenommen zu werden.
Wolfgang Jensen
10. Oktober 2015 um 22:26 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Ich könnte solche Geschichten seiten- und nächtelang lesen! :)
Runa Borkenstein
11. Oktober 2015 um 10:09 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Du sagst/schreibst es, Wolfgang!
Echt klasse diese neue Serie :)
Heino Küster
10. Oktober 2015 um 20:45 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Köstliche Aufsätze :!: Mehr davon ;-)
admin
10. Oktober 2015 um 19:42 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
50 Prozent Flüchtlinge, kaum Touristen und trotzdem die finanzkräftigste Stadt Schleswig-Holsteins! :roll: Dafür verfügt die Polizei nur über zwei Fahrräder. Und der Leiter des Fischereiamts gräbt im Urlaub seinen Garten um. :lol: Herrlich, oder? Das ist mal lebensnahe Dokumentation und Statistik!
ingwer Hansen
11. Oktober 2015 um 11:12 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Ja, auch mich haben die Zahlen schon gewundert. Irgendwie haben wir doch viel vergessen, oder verdrängt? Wieso diskutieren wir heute eigentlich, ob Deutschland 1 Mio. Flüchtlinge aufnehmen kann? Nach dem Krieg, als alles in Schütt und Asche lag, kamen über 12 Mio. Flüchtlinge in die damalige BRD. Und sie wurden alle aufgenommen und untergebracht!