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Mrz 27 2014

Bumerangwerfen 1967

Bumerangwerfen

Fahrkarte 1966Es war im Herbst 1966, als meine Großmutter sich wieder einmal von Kappeln mit der Eisenbahn auf den Weg nach Hannover machte, um dort unsere Verwandten zu besuchen. Ein beherztes „Gute Reise!“ und „Grüß schön!“ waren selbstverständlich, aber wichtiger war die Frage „Bringst du mir was mit?“ – obwohl: selbstverständlich brachte Oma mir immer etwas mit. Dieses Mal sollte es aber kein Buch oder etwas zum Naschen sein, sondern etwas ganz Besonderes, geradezu Einmaliges – zumindest für Mani und mich …

Natürlich hatten wir Jungs bereits einiges gesehen und erlebt – aber noch viel mehr gelesen. Die Kappelner Stadtbücherei bot genügend Stoff, um sich – auch ohne Fernsehen – früh die Welt zu erobern. Mein Lieblingsschriftsteller war damals Jules Verne. In seinem Roman „Die Kinder des Kapitäns Grant“ hatte ich schon als Kind folgendes gelesen:

… In angemessenen Abstand gelangt, schleuderte er sein Werkzeug in horizontaler Linie zwei Fuß hoch vom Boden. Eine Strecke von ca. 40 Fuß weit sauste die Waffe, stieg dann plötzlich im rechten Winkel bis zu 50 Fuß in die Höhe, traf etwa ein Dutzend Vögel zu Tode und sauste, eine Parabel beschreibend, zu den Füßen des Jägers zurück. Glenarvan und alle anderen standen sprachlos, sie konnten ihren Augen nicht trauen.
„Der Bumerang! Der Bumerang!“ rief Ayrton.
„Der australische Bumerang!“ rief Paganel und wie ein Kind raffte er das merkwürdige Werkzeug auf, „um zu sehen, was drin sei“ – freilich hätte man meinen sollen, ein Mechanismus im Innern, eine jäh abschnappende Feder sei von Einfluß auf den Weg, den es genommen hatte – aber es war nichts innen zu sehen; der Bumerang bestand einzig und allein aus einem Stück harten, gekrümmten Holzes von 20-40 Zoll Länge; in der Mitte maß es 3 Zoll etwa und seine beiden Enden liefen in scharfe Spitzen aus; sein konkaver Teil trat um 6 Linien zurück, und sein konvexer Teil wies zwei ganz scharfe Ränder auf. Das ganze Ding, der ganze Vorgang war ebenso einfach, wie unbegreiflich.
„Das also ist der berühmte Bumerang!“ sagte Paganel, nachdem er das wunderliche Werkzeug aufmerksam gemustert hatte – „ein Stück Holz! nichts weiter! Woher kommt es, daß es in einem gewissen Augenblick aus seinem wagerechten Lauf in die Lüfte aufsteigt, um zu der Hand, die es schleuderte, zurückzukehren? Nie haben Gelehrte und Reisende für dieses Rätsel eine Erklärung geben können!“
„Sollte der Vorgang nicht auf demselben Gesetz beruhen, nach welchem ein auf gewisse Weise geschleuderter Reifen zum Ausgangspunkte zurückkehrt?“ fragte John Mangles.
„Oder vielmehr,“ setzte Glenarvan hinzu, „eine rückläufige Bewegung, ähnlich so, wie sie eine in einen gewissen Punkt getriebene Billardkugel macht?“
„Ganz und gar nicht,“ erwiderte Paganel; „denn in diesen beiden Fällen ist stets ein Stützpunkt vorhanden, der die rückwirkende Tätigkeit bestimmt; für den Reifen der Erdboden, für die Billardkugel die Billardfläche! Hier aber fehlt es an jeglichem Stützpunkt; das Instrument trifft den Boden nicht und steigt doch zu einer beträchtlichen Höhe auf!“
„Wie erklären nun Sie diese Sache, Monsieur Paganel?“ fragte Lady Helena.
„Gar nicht, meine Dame! Ich stelle lediglich die Tatsache fest; augenscheinlich ist die Wirkung abhängig von der Weise, wie das Werkzeug geschleudert wird, und von seiner eigentümlichen Form. Was aber dieses Schleudern anbetrifft, so ist dasselbe auch heute noch das Geheimnis der Australier.“

Sporthaus Kulle

Wie aufregend! Und dann kam der Clou: Im Sporthaus Kulle in der Querstraße lag plötzlich so ein Ding im Schaufenster – ein echter australischer Bumerang! Mitte der Sechziger absolut unerschwinglich. Aber die ohnehin vorhandene Begierde wurde ständig neu befeuert, weil dieses faszinierende Etwas in Kappeln Gott sei dank keinen Käufer fand und deshalb über Monate bewundert werden konnte.

QUELLE-Katalog 1966/67

Im September 1966 schließlich die Initialzündung – der QUELLE-Katalog Herbst·Winter 1966·67! Darin abgebildet war ein Zweierpack Bumerangs aus Kunststoff. Und da es in Hannover ein QUELLE-Geschäft gab und für mich damals eine Katalogbestellung weder vorstell- noch bezahlbar war, stand damit das ideale Mitbringsel meiner Großmutter unweigerlich fest.

QUELLE-Bumerangs 1966Die Abbildung wurde aus dem Katalog ausgeschnitten, auf ein Blatt weißes Papier geklebt, das vorher gut lesbar auf der Schreibmaschine mit der genauen Artikelbeschreibung samt Artikelnummer versehen worden war. Dann wurde Oma alles erklärt und ein paar Wochen später hielt ich sie überglücklich in meinen Händen: einen gelben und einen roten Plastik-Bumerang mit dem Namen „Bumerang“ und dem Hinweis „hier halten“.

Den gelben kaufte Mani mir ab, den roten behielt ich selbst. Und dann wurde geübt, was das Zeug hielt. Bei Wind und Wetter waren wir mutterseelenallein unterwegs auf den Wiesen am Kappeln - Bumerangwerfen 1967Hüholz oder am Strand von Weidefeld. Zwar gelang es uns relativ schnell, unsere Wurftechnik zu perfektionieren, aber es wurde uns auch schnell klar, dass es sich hier nicht um ein Spielzeug, sondern um ein Sportgerät handelte, das einmal als Waffe erfunden worden war und letztlich auch eine Waffe blieb. Sobald neugierige Dothmarker Kinder in der Nähe waren, war das Bumerangwerfen zeitweise kaum noch verantwortbar.Kappeln - Bumerangwerfen 1967Das wurde uns nach den ersten Eigenblessuren spätestens klar, als ein Junge den „landenden“ Bumerang mit großer Wucht gegen den Arm kriegte und heulend nach Hause lief oder als eine Martensche Kuh – am Genick getroffen – vor Schreck in die Knie ging.

Insbesondere bei etwas windigeren Wetterverhältnissen waren die Dinger manchmal unberechenbar und Mütze und Handschuhe waren zum Schutz gegen schmerzhafte Verletzungen nicht übertrieben. Bei ruhigem sonnigen Wetter hingegen war das irgendwann nicht mehr nötig. Da flogen diese Wunderwerke genau so, wie man es wollte und landeten mit letzten, fast zeitlupenhaften Drehungen vor dem eigenen Körper direkt in der Hand, als wären sie nie weg gewesen. Und diesen Wurf konnte man dann zigfach wiederholen – immer mit fast identischer Flugbahn und Landung. Als wenn man das Fluggerät durch die Wurfhaltung, den Wurfwinkel und die aufgewendete Kraft programmiert hätte und es dann dieses Programm präzise abarbeitete. Das war einfach unbeschreiblich – trotzdem versuche ich es gerade!

Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967

Das „Fangen“ des zurückkehrenden Bumerangs – ohne sich auch nur einen einzigen Schritt von der Stelle oder aus einem „Wurfkreis“ heraus zu bewegen – war übrigens nur eine von vielen Möglichkeiten, seine Geschicklichkeit im Umgang mit diesem genialen Stück Plastik weiterzuentwickeln. Man konnte z. B. Zielwerfen machen, wobei es darum ging, den Bumerang möglichst nah an einem vorher festgelegten Punkt zur Landung zu bringen, oder man konnte einfach die Zeit stoppen, wie lange man das Fluggerät durch entsprechende Wurftechnik in der Luft halten konnte.

Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967

Besonders viel Spaß machte es, den Bumerang um Hindernisse wie Telegrafenmasten herum zu werfen. Das war dann allerdings für den Bumerang selbst nicht ungefährlich. Bei den Geschwindigkeiten und der enormen Rotation führte eine Kollision mit starrer Materie schnell mal zur Bruchlandung.

Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967

So ein Schicksal ereilte dann auch unsere beiden QUELLE-Überflieger – meinen am steinigen Strand von Weidefeld. Da nützte es auch nichts mehr, dass ich darauf meine Adresse eingeritzt hatte – sicher nicht, weil ich Angst hatte, dass er mir über die Ostsee davonflog, sondern eher, dass er unauffindbar in einer Baumkrone oder im Unterholz des Hüholzes verschwinden würde. Man musste nämlich grundsätzlich gegen den Wind werfen, also am Hüholz bei Westwind in Richtung Wald und bei Ostwind in Weidefeld direkt aufs Meer hinaus. Die sporadischen Landungen in der Ostsee hat Mani dann mit viel Bravour wieder rausgefischt.

Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967

Der Totalschaden war übrigens nur im ersten Moment schmerzhaft, im nächsten Schritt war er dann der direkte Start in die „Königsklasse“. Das Sahnehäubchen beim Bumerangwerfen war das Selberbauen! Kaum wurden die ersten Abnutzungserscheinungen am Gerät sichtbar, diente es als „Blaupause“ für eine ganze Generation von Fluggeräten, zunächst 1:1 gefertigt aus Sperrholz von Tischler Thomsen, bald darauf aus wasserfestem Mahagoni-Sperrholz von Henningsen & Steckmest in Gauhöft.

Weidefeld - Bumerangwerfen 1967Weidefeld - Bumerangwerfen 1967

Diese Hölzer waren viel mehr als nur Ersatz für das QUELLE-Plastik – sie konnten jederzeit nachbearbeitet und selbst auf dem „Sportplatz“ noch mit Feinschliff versehen werden. Einige Monate früher kaum vorstellbar – wurde man intuitiv zum Ingenieur, weil man – ohne es erklären zu können – das Phänomen einfach verstanden hatte und tatsächlich die ohnehin schon exzellenten Flugeigenschaften noch weiter optimieren konnte. Auf die „Kopien“ folgten dann sehr schnell auch Eigenentwicklungen: kleinere, dickere, schmalere oder anders gewinkelte, die manchmal gar nicht, manchmal aber noch besser, höher oder weiter flogen und trotzdem immer zurückkamen. Auch wenn es inzwischen viele wissenschaftliche Berechnungen und Erklärungsversuche gibt, bleibt das Ganze doch ein Mysterium – insbesondere auf freier Wildbahn.

Beatles-Wand mit Bumerang (1967)Weidefeld 1967

Als 1967 im ZDF die australische Abenteuer-Kinderserie „Der Bumerang“ anlief, in der es um einen Zauberbumerang ging, waren wir schon viel, viel weiter. Der Zauber hatte uns lange erreicht, in seinen Bann gezogen und uns eigentlich nie mehr verlassen.

Bumerang

Fotos: Manfred Rakoschek

19 Kommentare

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  1. Manfred Rakoschek

    ein bumerang traf mich am kopf,
    ich bin ein armer tropf!
    es reißt ganz arg an meinem herz
    der primitiv-aprilli – – – schmerz

    1. Runa Borkenstein

      dann ist das wohl
      kein Kopf aus Kohl,
      schau nach bei Quelle,
      vielleicht gibt`s da HelmDauerwelle

  2. Runa Borkenstein

    Wieder mal ein Meisterstück:
    admin wirft den Bumerang,
    holt damit Jungzeit zurück!
    Aufbruchstimmung, Leben lang,
    lädt uns ein zu diesem Glück.

    Nach dem KindSein, in der Jugend,
    einfach selbstvergessen sein.
    SpielenKönnen, kreative Tugend,
    fröhlich-wohl mit Freunden, nicht allein
    in die Zukunft lugend.

    Die Welt als Spiel- und Weidefeld,
    es gibt sie nicht, die Grenze,
    die uns scheinbar hält,
    in diesen Jahren wen`ger Lenze.
    Nur dieses formvollendet` Holz noch zählt,
    und nicht ein Geld
    der Welt!

  3. Eckehard Tebbe

    Toller Artikel!
    Er erinnert mich an unseren Aufenthalt in Sitges / Spanien 1973 bei meinem Schwager Harald. Er hatte einen Hund mit Namen … Bumerang. Wir sind oft mit ihm spazieren gegangen. Er ist dauernd ausgebüchst, und dann konntest du ihn locker zwanzigmal rufen … glaub bloß nicht, dass er zurück kam. Unpassender Name eben.

    1. Wolfgang Jensen

      Es gab mal in den 60ern ein lustiges Lied vom Komiker Charlie Drake – My Boomerang Won’t Come Back, in dem es darum geht, dass ein junger Aborigine aus seinem Volk ausgestoßen werden soll, weil er es nicht schafft, seinen Bumerang wieder zurück zu bringen. Bei Wurfversuchen holt er u.a. ein Flugzeug vom Himmel. Ich hab‘ das Lied aber erst ca. 1973 in einem Englisch-Seminar an der Uni Kiel gehört.

      1. Hartmut Stäcker

        Ich kannte nur „You’re like my yellow boomerang“
        von der Straßenmitte aus Glasgow, aber das war
        natürlich nichts gegen Deine Aborigines-Hymne.

  4. Sabine Brunckhorst-Klein

    Eins wird deutlich:
    Das muss toll gewesen sein :)

  5. Ingwer Hansen

    Joachim Ringelnatz
    Bumerang
    War einmal ein Bumerang;
    War ein Weniges zu lang.
    Bumerang flog ein Stück,
    Aber kam nicht mehr zurück.
    Publikum – noch stundenlang –
    Wartete auf Bumerang.

    1. Hartmut Stäcker

      Das Glück gleicht einem Bumerang.
      Du wirfst es weg, doch es kehrt wieder.
      Du nimmst es gerne in Empfang.
      Und trällerst neue Liebeslieder.
      (Roman Herberth )

    2. Hartmut Stäcker

      Hab mir einen neuen Bumerang gekauft.
      Den alten warf ich weg, aber er kommt immer wieder zurück.

  6. Manfred Rakoschek

    fein, achim, danke noch mal hochdeutsch an dich;
    das hier sichtbare exemplar hat viele dänische dünen geküsst,
    geschätzt ist es nummer 19 mit durch die holzdicke vorgegebener größe.

    in den 60gern war es nicht einfach, wasserfestes mahagoni-sperrholz von henningsen-steckmest auf grauhöft zu bekommen, und einen bandschleifer nannte ich erst jahrzehnte später mein eigen; laubsäge – raspeln – schleifen dauerte.

    die kinder fanden das teil bestaunenswert, und was es konnte, kriegten sie nie so richtig hin; der hund demolierte nach vielen fang- und bring-versuchen aus frustration das teil; wenn das gebüsch auf samsö es denn herausrückte . . .

  7. Manfred Rakoschek

    nu is dat wedder mal so wiet:
    admins artikel steiht
    hier lang und bred mittmang sin blog:
    wie good uns dat doch geiht:

    mehr as een johr is nu vergohn
    dat ick em mal verspraak:
    ick schrief wat övern bumerang.
    dat ist nu weder ’n saag

    mit uns projekt und unsen tied:
    ick heff too lang verpennt
    naa arbeit und mien gartentüch:
    mensch, weer ick man in rent:

    denn künn ich oog so fein wat schriebn
    und fotos maken förn rest;
    noch laat ick dat een beten bliebn
    bi all de termine-pest.

    nu aaber schluss mit jammeri
    du bringst uns jugend trüch,
    wi bruug man bloß hier konsumeern
    mit veelen dank an di !

  8. Hartmut Stäcker

    Ein Bumerang ist, wenn man ihn wegwirft und er kommt nicht zurück, dann war es keiner. :-D

    1. Heino Küster

      :-)

    2. Hartmut Stäcker

      Wie nennt man einen Bumerang, der nicht zurück kommt?
      Stock

  9. Heino Küster

    Und eben erkenne ich die Handschrift von meinem Vater auf der Rückfahrkarte Hannover :!: :lol:

    1. Wolfgang Jensen

      Meine Güte, was Achim über die Jahre alles aufbewahrt hat. Toll! Und ich bedaure, was ich alles weggeschmissen habe. :sad:

  10. Wolfgang Jensen

    Die Bumerang-Story ist toll, weil viele Erinnerungen und Erlebnisse mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmen (teurer Bumerang bei Kulle, selbst gebastelte Kopien, schlechte Wurferfahrungen, Jules Verne) Danke, Achim, für diese schöne Zeitreise. :smile:

    1. Heino Küster

      Nicht zu vergessen: Manis geile Fotokreativität! Hut ab :!:

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