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Mai 31 2015

Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (3)


Unsere Homa

Unsere Homa gehörte zu uns, solange ich erinnern kann. In dem Jahr, als unser Großvater Nissen in Grödersby starb, 1906, ist sie zu uns gezogen, denn unsere Mutter war ihr einziges Kind, und sie hatte bereits selbst sechs Kinder. Da war eine Großmutter gut am Platz. Bald darauf wurde ich als siebentes Kind geboren und war nun, wohl verständlicherweise, Homas erklärter Liebling. Daß ich auch all die Jahre nachher von ihr verzogen und vorgezogen wurde, gab mir berechtigterweise im Geschwisterkreis eine Sonderstellung, die ich natürlich einerseits sehr genoß, später aber doch als ungerecht empfand und wie ich meine und hoffe allmählich abgestreift habe.

Ich hatte vom Mittagessen am langen Familientisch erzählt. Nachher folgte der unvermeidliche Abwasch, den zwar unser Mädchen machte, wenn wir eins hatten, aber wir Mädels mußten doch helfen, abtrocknen, Herd putzen, Feuerung reinholen. Warum eigentlich nie die Jungs?! Diese Dienste in Haus und Küche waren damals für Jungs unwürdig, das hätte auch unsere Mutter nie zugelassen. Dafür mußten sie aber andere Dienste tun, so Holzhauen, Kohlen schleppen und natürlich im Garten arbeiten. Da war das Hacken, Graben und Harken ihre Arbeit, sozusagen was man in aufrechter Haltung tun konnte. Die anderen „niederen Dienste“ so auf der Erde rutschen und Unkraut jäten, das war für uns Mädels da. Wie wir das haßten! Und immer, wenn die anderen aus der Klasse sich verabredeten zum Spielen, dann mußten wir in den Garten oder zum Brombeerenpflücken oder zum Kornährensammeln. Ich will der Ehrlichkeit halber lieber sagen: „oft“, nicht immer.

Der Boden

Aus dem Garten nun wieder nach oben: vom mittleren Trakt und von der Küche her führte ein kleiner Gang zum Boden. In diesem Gang war das Mädchenzimmer, -kammer könnte man eher sagen. Es hatte immerhin ein großes dreieckiges Fenster, das zum Lüften ganz herausgenommen wurde.

Nun der Boden, um den uns viele beneideten. Er hatte Ausmaße, daß unter ihm drei große Klassen und das Lehrerzimmer Platz hatten, er hatte rohes Gebälk mit luftdurchlässigen Ziegeln und auch regendurchlässigen Löchern. Es waren aber nur drei Räume abgeteilt.

Das eine Zimmer, das nach Norden ging, hieß berechtigterweise „Sibirien“. Hier müssen alle fünf Jungs geschlafen haben, jedenfalls in den ersten Jahren, bis die ältesten Brüder auf die Schule nach Flensburg kamen. Dann wurden sofort ein paar Pensionäre genommen, damit der üppige Platz ausgenutzt wurde. In den Ferien, wenn die einen kamen, verschwanden die anderen, so reichte Sibirien immer für fünf Jungs aus.

Manchmal, im eisigen Winter, brannte für einige Stunden ein transportabler Petroleumofen, im übrigen mußte die Winterkälte so hingenommen werden. Ich erinnere nur, daß Mutter bei solcher Kälte morgens warmes Wasser hinbrachte, denn in den Kannen und Schalen war alles gefroren. Ich erinnere kein Jammern und Klagen der Jungs und gedenke noch heute voller Bewunderung unserer Sibirienbewohner.

Auf der anderen Hälfte war das abgekleidete Reich unserer Homa, zwei richtige Zimmer mit richtigen Fenstern. Das kleine Zimmer war Küche, im großen befand sich außer Bett und Sofa, Schatulle, Kommode und sonstigen kleinen Dingen ein riesengroßer Schneidertisch. Unsere Homa war nämlich Schneiderin gewesen und hatte alle dazugehörenden Utensilien mitgebracht. Der riesengroße Zuschneidetisch zog sich an den zwei Fenstern entlang, und ich hatte das Vorrecht, mich in der Fensterecke auf diesem Tisch einzurichten. Meine Spielsachen, meine Puppen, auch Ausschneidepuppen und Lackbilder hatte ich um mich, und mit keinem der anderen Geschwister hatte ich Krach. Am Ende des Tisches saß Homa an ihrer Nähmaschine, einer Handnähmaschine, wie es sie damals nicht anders gab. Was hatte sie wohl alles zu nähen? Für uns acht Kinder hat sie bis zur Konfirmation alle Kleidung und Wäsche genäht.

Kindergilde – der „Herr Rektor“ voran

Kindergilde – die Mädchen unter Blumenbügeln

Nur zu besonderen Festtagen wie Kindergilde wurde ein neues Stück gekauft. Als die Jungs schließlich gegen die von Homa genähten Hosen und Jacken protestierten, auch wir Mädchen mal ein hübsches, neues Kleid wünschten, bekam großzügig jeder zu seiner Konfirmation einen neuen gekauften Anzug bzw. Kleid.

Von da an war Homa in ihrer Tätigkeit etwas degradiert, sie beschränkte sich mehr auf Ausbesserung, aufs Flicken der Hosenböden, der Ellbögen und der Kniee, alle Jungshosen gingen doch damals über die Kniee! – aufs Längermachen der Kleider und der Ärmel und schließlich, alle Unterwäsche wurde damals geflickt und nochmal geflickt. Zu tun hatte Homa, solange sich ihre Finger regen konnten.


Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (4)
Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (2)

2 Kommentare

  1. Maren Sievers , geb Bonau

    Kleidung flicken:
    Hemdkragen ab, umdrehen und wieder annähen (Innenseite nach Außen)

    Oder: Einen Stoffstreifen auf Höhe des Oberschenkels einsetzen aus altem anderen Stoff,
    das kenne ich auch noch.
    Und Arbeitssocken hat meine Schwiegernutter auch in den 1990iger Jahren noch gestopft.

    1. Runa Borkenstein

      Vielleicht gehört das einfach zum „Leben auf dem Lande“, Maren.
      Ich finde derlei Tätigkeiten -freiwillig ausgeführt-
      selbst in diesem Jahrtausend „Sinn stiftend“.
      Genau wie Sockenstricken!
      Im Alltagstrubel zwischendurch
      so ein kleines überschaubares Werk kreieren,
      da läuft ein zusammenhängender Faden mit durchs Leben :bear:

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