«

»

Jun 10 2015

Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (6)


Unsere Ferienreisen

Dies Kapitel ist im Grunde schnell zu beschreiben. Es gab nur zwei nennenswerte Reisen: jeden Sommer einen Tag nach Schleimünde, und sonst an den Sonntagen die Ausflüge nach Arnis zu den Großeltern. Nach Arnis ging es zu Fuß, entweder über Grödersby, Mutters Heimat, eine Stunde Wegs, oder über die Koppeln, über „Knudsens Steg“, etwas ängstlich zwischen den freilaufenden Pferden und Kühen hindurch. Solange die Großeltern lebten, waren die Sonntagsausflüge nach Arnis Höhepunkte des Sommers. Was wäre Arnis gewesen ohne die Schlei, ohne all die Segelboote und vor allem die Segelregatta. Diese Regatta wurde ausgetragen zwischen Schleswig oder Missunde und Arnis, viele auswärtige, auch ausländische Segler kamen dazu, ein prächtiges Bild, eine Vielfalt großer und kleiner Segler. Ich kann wohl sagen, die Arnisser Segelregatta hatte damals einen großen Namen, und wenn ich heute das Wettsegeln der Kieler Woche miterlebe, meine ich, die Arnisser Segelregatta wäre damals mindestens so prächtig gewesen und war auch sicher Vorläufer und Vorbild der Kieler!

Nach dem Ausflug nach Arnis und all seinen Erlebnissen dort waren wir totmüde und wären gern mit dem Dampfer gefahren. Es ging doch ein Dampfer von Arnis nach Kappeln und soviele fuhren damit zurück. Aber wir Thomsens mußten auch den Rückweg zu Fuß machen, wir hatten ja gesunde Beine! Und die Fahrt mit dem Schiff kostete 20 Pfg., das wäre für unsre ganze Schar zuviel gewesen! Die Fußwege haben uns auch nicht geschadet. Als wir einmal am ersten Schultag nach den Sommerferien von unserm Klassenlehrer aufgefordert wurden, der Reihe nach zu erzählen, welches die weiteste Reise dieser Ferien gewesen sei, rollten die Namen Hamburg, Flensburg, Schleswig an mir vorbei, und ich hatte nichts als „Arnis“ zu melden. Es gab natürlich großes Gelächter! Als ich mittags dies traurige Erlebnis erzählte, sagte Vater so tröstend: das macht gar nichts, mein liebes Kind, das holst Du vielleicht später alles nach! Und hab‘ ichs nicht nachgeholt? Ich habe mit all meinen Reisen sicher die meisten aus meiner Klasse eingeholt!

Nun unser zweites Ferienerlebnis: Schleimünde!

Noch heute schlägt mein Herz höher bei diesem Wort, und wenn ich – wie im letzten Sommer – von Sonderburg kommend – durch die enge Schleimündung fahre, steht die Kinderzeit mit diesem Schleimünde-Erlebnis mir leuchtend vor Augen. Das Motorboot, das im Sommer von Kappeln nach Schleimünde fuhr, ging nur nachmittags, und solche Fahrt war für uns für so wenige Stunden zu teuer. Es mußte schon ein ganzer Tag sein, aber nur einmal im Jahr. Es ging an einigen Tagen der Woche ein großer Dampfer morgens von Kappeln, an Schleimünde vorbei, ohne jedoch anzulegen, weiter nach Kiel. Aber dies eine Mal im Jahr, legte der Kapitain, nach freundschaftlicher, vorheriger Rücksprache mit unserm Vater, an der Brücke von Schleimünde an, um die ganze Thomsenfamilie auszuladen, sonst niemanden. Einige Male hat unser Vater auch ein Segelboot geliehen, und zwei oder drei der Jungs fuhren mit ihm, während Mutter mit uns jüngeren Geschwistern mit dem Dampfer fuhr. Daß Vater mit dem Segelboot fuhr, hatte natürlich seinen Grund: das Seemannsblut steckte in ihm, und selbst zu segeln war seine große Leidenschaft, er war doch Arnisser Kind!

Er fuhr mit den großen Jungs von Schleimünde aus weit auf die Ostsee hinaus, brachte auch manchmal einige Fische mit – zu Mutters Unbehagen – aber das Wesentliche waren auch nicht die Fische, sondern die Freude am Segeln und Angeln. Dem Angeln vorweg ging leider das Würmersuchen am Strand und das Zurechtmachen der Angeln. Dies unleidliche Geschäft war allen, besonders Georg so verhaßt, daß ihm die Freude an Schleimünde dadurch getrübt wurde. Ich meine auch, er hat Zeit seines Lebens die Abneigung gegen Fische nicht überwunden.

Mittags kamen die Angler zurück und nun folgte der Höhepunkt: das Mittagessen am Strand. Eine Gastwirtschaft gab es in Schleimünde nicht, alles Essen wurde in Körben und Eimern mitgenommen. Welche Mühe hatte unsre Mutter gehabt mit den Vorbereitungen, wir Töchter hatten natürlich geholfen: da gabs Kartoffelsalat mit Frikandellen und hinterher „Rote Grütze mit Milch“, oder Buttermilch mit Zwieback, mal gabs auch „Großen Hans“, den Mehlbeutel, der am Tag vorher gekocht war, dazu rote Sauce! Es schmeckte so schön hier am Strand, wo wir uns eine Burg gebaut hatten und im großen Kreis unsre fröhliche Mittagsmahlzeit hielten. Zum Nachmittag gabs Saft mit Brötchen oder Brot, wir hatten alle einen Riesenappetit, denn wieviel Male waren wir zwischendurch im Wasser gewesen oder hatten am Strand getobt. Abends gings dann mit dem Motorboot der „Möwe“ oder dem „Adler“ zurück nach Kappeln, und wir waren sicher für diesen einen Ferientag ebenso dankbar wie andere für eine längere Reise.


Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (7)
Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (5)

8 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

  1. Regina Blätz

    Mir gefällt die Aussage: wir hatten ja gesunde Beine!
    Ich glaube keiner von uns wurde von „Taxi Mama“ herumkutschiert so wie es heute üblich ist. Dafür waren wir auch nicht verplant. Die Ziele die wir erreichen wollten wurden erlaufen oder bestenfalls erradelt. Nur zur Schule ging es im Winter mit dem Bus
    Ich erinnere mich noch an die langen, aufregenden Märsche mit Brigitte über die Feldwege nach Ellerüh oder Brodersby zu ihren Tanten. Wir bekamen Saft und etwas zum Naschen oder Obst und dann gings zurück. Wir waren den ganzen Tag unterwegs, aber unsere Mütter waren nicht besorgt.

    1. Runa Borkenstein

      damals Sommer
      Saft von (roten) Beeren
      pflücken, waschen. kochen
      vier Stuhlbeine nach oben recken
      Windelsieb, Tropfen hindurch in Töpfe lecken
      Flaschen säubern und dann die Beute nur noch einwecken

      1. Sabine Brunckhorst-Klein

        Wenn ich das lese, duftet alles nach Johannisbeersaft, Runa ;)
        Ich glaube, so viele Vitamine hatten unsere Säfte und das eingeweckte Obst im Winter nicht mehr.
        Und irgendwie, mal ehrlich, schmeckte auch alles etwas ähnlich … süß eben.
        Aber ganz großen Respekt den Frauen für all die Mühe, die in der Bevorratung für den Winter steckte.

        1. Runa Borkenstein

          Ja genau, Sabine,
          roter Johannisbeersaft erschien mir angesichts Reginas Geschichte.
          Aber diese Erinnerung ist eher sehr sehr sauer…
          Diese Früchte gehören für mich in einen norddeutschen Garten,
          stehen deshalb auch in dem unsrigen.
          Ich „verschlinge“ und genieße sie aber lieber nur noch mit den Augen:
          am liebsten sonnenbeschienen reif und roooot 8O

          1. Sabine Brunckhorst-Klein

            ja, stimmt, Johannisbeersaft war zunächst einmal super-sauer !!! Und wie !!!!
            Aber in unserer Küche wurde dann „übersüßt“.

          2. Heino Küster

            Meine Erinnerungen an dieser Stelle:
            „Fliederbeeren“ strippeln und ab in den Entsafter. Und im Winter dann leckere Fliederbeersuppe mit Klümp!

  2. Wolfgang Jensen

    Mir geht’s wie Dir, Sabine. Ich hatte in den frühen 60er-Jahren ähnliche Erlebnisse. Ich bekam als Verpflegung zum Strand (meistens Weidefeld bevor Olpenitz gebaut wurde) auch oft ein Weckglas mit Kartoffelsalat und eine alte Sprudelflasche mit Ahoj-Brausepulver – Gemisch (war ein Matrose drauf) mit. Einen Kiosk gab’s ja damals nicht. Den riesigen Appetit, den Magdalena so schön beschreibt, hatten wir auch. Und wir hatten schön Platz am Strand, denn Weidefeld war ja damals so eine Art Geheimtipp. Kopfball-Turniere waren damals sehr angesagt.

  3. Sabine Brunckhorst-Klein

    Ich lese diese Erinnerungen so gerne. Welch beschauliche Zeit, in der alle Dinge so viel Raum bekamen wie sie brauchten. Eigentlich selbstverständlich, denke ich, aber heute ist alles so viel schneller geworden.
    Wir könnten auch heute davon ein dickes Stück gebrauchen. Manches Stress-Management wäre überflüssig und der Alltag „menschlicher“

Kommentare sind deaktiviert.