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Jun 16 2015

Magdalena Hinrichsen – Erinnerungen (9)


Unser Weihnachtsfest

Weihnachten ist fast überall ein Fest der Freude. Aber wir meinten doch, nirgends in der Welt sei Weihnachten so schön wie bei uns. Wenn nach langem heimlichen Vorbereiten endlich der 24. Dezember anbrach, war die Spannung auf dem Höhepunkt.

Mittags gabs nur Grütze, ein gern hingenommenes Übel, eben ein Hinweis auf das festliche Abendessen. Nachmittags waren wir Kleinen alle bei Homa, Vater und Mutter blieben unsichtbar, und wir durften uns über den Boden nicht hinauswagen. Die großen Brüder haben sicher geholfen. Homa hatte schon eine kleine Vor-Bescherung für uns, zur Beruhigung der Gemüter. Ich erinnere mich, daß wir ein Mal jeder eine ganze Apfelsine bekamen, das war noch nie dagewesen. Als dann endlich über den Boden hin die Klingel ertönte, setzten wir uns in Bewegung, und in geordneter Reihe, Trudel vorweg, die Großeltern als Abschluß gings nun in die weihnachtliche Wohnung, in der es so herrlich duftete. Vater öffnete die Tür zum Weihnachtszimmer, und da stand nun mitten im Zimmer der große Baum in seinem Lichterglanz. Der Glanz und die Freude spiegelte sich in unseren Gesichtern wider, wir waren zuerst ganz still. Dann stellten wir uns im großen Kreis um den Baum herum und das Singen begann, ein Weihnachtslied nach dem anderen. Vater las die Weihnachtsgeschichte und betete mit uns, das ist mir unvergeßlich.

Wir Kleinen sagten Gedichte auf, sangen wieder, bis endlich Vater das erlösende Wort sprach: nun wollen wir mal nach nebenan gehen. Die Tür tat sich auf und nun folgte die nächste Überraschung: im hellerleuchteten Wohnzimmer war der Eßzimmertisch lang ausgezogen und kleine Tische an beiden Seiten und alles belegt mit Geschenken. Jeder vom Jüngsten bis zum Ältesten fand seinen Platz und das AH und OH nahm kein Ende. Man denke nur nicht, es wären große Geschenke gewesen: ein Buch, ein Spielzeug, je nach Alter und ein nützliches Teil, Handschuhe oder Strümpfe oder ein Wäschestück. Bei uns Mädchen saßen manchmal die Puppen in neuem Gewand oder mit neuer Perücke. Wir hatten vorher schon mit stillem Vergnügen festgestellt, daß sie verschwunden waren. Unsere Homa und unsre Mutter hatten abends, wenn wir zu Bett waren, das Nähen und Ankleiden der Puppen geschafft.

Einmal stand am Weihnachtsabend das alte Schaukelpferd in neuer Aufmachung da. Dieses hölzerne Schaukelpferd hatte unser Großvater Nissen noch selbst gezimmert. Nicht nur die fünf Jungs, auch wir Mädchen sind darauf geritten, und natürlich hatte es Farbe und Haare und Schwanz eingebüßt. Nun stand es in neuer Aufmachung da und löste große Freude bei uns allen aus.

Leider mußte nachher der lange Tisch abgeräumt werden, denn nun folgte das festliche Abendessen. Alle suchten rundum Platz für die Geschenke, wir deckten den Tisch und halfen Mutter in der Küche. Wievielmal war Mutter inzwischen in der Küche gewesen! Jetzt gings ans festliche Essen, das so wunderbar schmeckte nach diesem aufregenden Tag. Leider folgte nachher das unvermeidliche Abwaschen, eine Spülmaschine gabs ja noch nicht.

Aber wir durften trotzdem lange aufbleiben und haben diesen herrlichen Tag bis zur Neige ausgekostet, mit Spielen, Musizieren und Ausprobieren all der neuen Geschenke. Zu schade nur, daß auch dieser Tag mal ein Ende nahm. Wir durften ja am nächsten Tag weiterfeiern, aber Bertha und Georg Thomsennie wieder war alles so festlich, nie wieder brannten die Lichter so hell wie am Weihnachtsabend.

Pfingstfest

Ein Höhepunkt war auch das Pfingstfest. Frühmorgens, etwa um 6 Uhr machte Vater mit allen Kindern, die zu Haus waren, eine Morgenwanderung. Es ging durch den Wald, durch Felder und Wiesen, durch die herrliche Sommerlandschaft, und wir waren alle so fröhlich und unbeschwert, haben gesungen und gespielt und getobt, sogar Vater war mit uns Kindern vergnügt. Zu Haus wartete dann der Kaffeetisch auf uns, Mutter war natürlich zu Haus geblieben und hatte alles zubereitet. Solche Verzichte waren unsrer Mutter so selbstverständlich, sie hätte es sich gar nicht nehmen lassen. Wir nahmen es auch als selbstverständlich hin, kannten es ja gar nicht anders. Erst viel später haben wir gemerkt, auf wieviel unsre Mutter verzichtet hat und auch unser Vater in seiner Weise, um uns Kindern den Weg ins Leben zu bahnen und zu erleichtern. Daß man das doch immer zu spät merkt!


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