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Sep 13 2017

Die Pappeln von Kappeln

Vor 60 Jahren

Hamburger Abendblatt vom 10. August 1957

HA 10.08.1957

 

Die Pappeln von Kappeln

FRITZ VON WOEDTKE erzählt aus der großen und der kleinen Welt

Kappeln ist ein unscheinbares Städtchen an der Schlei, und wenn Sie mich fragen, was ich da suchte, so antworte ich: die Pappeln. Nicht etwa, daß die Pappeln von Kappeln berühmt wären wie etwa der Dom in Köln – nein: um des Reimes willen suchte ich sie. Die Pappeln von Kappeln, das geht einem so glatt ein. Vielleicht steckt dahinter sogar ein geheimer Sinn? Mal sehen.

Das Hafenstädtchen liegt an einer Einbuchtung der Ostsee in der Landschaft Angeln. Und hier beginnt das Sensationelle. Denn aus Angeln zogen die Angeln, nachdem sie sich mit einigen reiselustigen Sachsen verabredet hatten; sie verschmolzen mit diesen zu Angelsachsen und eroberten England. Also stammen die Engländer eigentlich aus Schleswig-Holstein, und sind eigentlich Deutsche? Es geschah jedenfalls im Jahre 449, da sich die Angeln aus der Bucht von Kappeln einschifften.

Es ist natürlich riskant, in der Historie herumzustolzieren wie der Storch im Obstsalat. Irgendwas stimmt immer nicht, und irgendein Professor weiß es besser; schließlich aber war ja kein gelehrtes Haus dabei, als England vor 1500 Jahren von den Angeln neu besiedelt wurde.

Über eine Brücke näherte ich mich dem Städtchen, das eine schöne Kulisse bietet mit Kirchturm, Windmühle und schiefen Gäßlein und sah ein deutsches Städtebild, ganz ohne Reklameschilder und ohne Trauben von ermüdet-wißbegierigen Touristen. Genau genommen blieb ich nur ein Stündchen in Kappeln. So was ist modern. In einer Zeit, da man Paris in drei Tagen erlebt und ganz Italien einschließlich Pompeji und blauer Grotte in einer Woche „macht“, darf für dies Stadtgebilde ein Dämmerstündchen genügen.

Ich wäre nie auf Kappeln gekommen, wenn mir nicht in Bonn ein ausländischer Diplomat gesagt hätte, bei der „Kieler Woche“ im vorigen Jahr hätte man auf Staatskosten einen Abstecher dorthin gemacht, um eine von Europas größten Kondensmilch-Fabriken zu besuchen. Trotzdem zögerte ich. Denn ich suchte ja eigentlich nur die Pappeln von Kappeln.

Da lag die Fabrik vor mir: Segen der Stadt, die bei Kriegsende mit Flüchtlingen überfüllt war, und die nun zu täglich Brot und Eigenheim kamen. Sollte ich mir den Fabrikationsvorgang umständlich erklären lassen? Ich kann mir so gut vorstellen, wie die sahnige Milch in die Dosen fließt, vollautomatisch von braven Kühen gemolken, eingedickt, gegossen, verlötet am laufenden Band. Ach, wissen Sie, so geht es einem ja immer bei Reisen heutzutage: man weiß so vieles im voraus! In Italien dürfen Sie mit Recht den blau-blau-blauen Himmel erwarten, in Paris, daß die Mädchen einschließlich der ältesten Jahrgänge zwar teuer, aber charmant sind; in Österreich pochen Sie auf die werbekräftige pauschale Gemütlichkeit und in Spanien sind Stierkämpfe inklusive.

Wir kennen eigentlich schon die ganze Welt, aus Werbung, Wochenschau und Fernsehen. Wir wissen: im Ruhrgebiet gibt’s Schornsteine, und Rothenburg ist hochromantisch. Alles trägt ein Etikett. Doch in einer Landschaft zu suchen, was eigentlich nicht in ihr ist – das kann im Zeitalter des Über-Reisens etwas Neues an sich haben.

Hinzu kommt, daß Pappeln, wie mir scheint, besonders aparte Bäume sind. Sie wachsen schnell, sind preiswert und machen in Alleen einen fürstlichen Eindruck; sie sind sozusagen die Hofdamen unter den Bäumen. Wahrscheinlich bin ich auch darin anfechtbar, wenn ich sage, daß wir in Deutschland dem – wie alle Diktatoren – unangenehmen Napoleon viele Pappeln verdanken. Denn auf seinen Kriegszügen ließ er nicht nur unsere besten Bundesstraßen anlegen, sondern bepflanzte sie zur Markierung auch mit Pappeln.

Napoleon kam nicht bis Kappeln, aber da … mein trunkenes Auge gewahrt sie: zwei kleine Pappelkinder, mit der Pappelmutter am Ufer, gar nicht mal dekorativ und nur so zufällig. Ich war zutiefst befriedigt. Nun konnte ich die offiziellen Sehenswürdigkeiten absolvieren. Die alte Pfarrkirche mit Inschrift und Gruft der Familie Rumohr. Nun werde ich aber nicht den Scherz machen, daß es in der alten Gruft rumorte, das wäre zu gewöhnlich und sehr billig. Wenden wir uns lieber dem kleinen Markt zu, das ist wirklich ein winziges blitzblankes Märktlein, und der Liliputhafen mit seinen Fischkuttern ist ebenfalls ein Spielzeug. Von diesen Miniaturstädtchen träumt man draußen, wenn man von Deutschland träumt, nicht aber von den einfallslosen Betonbauten unserer neuen Gründerzeit.

In Kappeln ist „rein gar nichts los“, und eben gerade dies ist das eigentlich Sehenswerte. Man muß nur dahinterkommen. Die Hamburger Schauspieler beispielsweise scheinen sich verabredet zu haben, ihre Ferien in San Angelo auf der Insel Ischia zu verbringen, im Mittelmeer. Flanke an Flanke liegen sie nun da nebeneinander, erzählen sich Theaterwitze, und suchten eigentlich die Einsamkeit. Oder auf Palma de Mallorca tummeln sich viele von jenen, die frohlockend manches von der Steuer absetzen konnten. Die „Costa Brava“ gar in Spanien ist hamburgische Domäne. Fahren Sie nach Ascona im Tessin, so treffen Sie Leute, die Sie sonst nur vom Wegsehen kennen, wenn Sie über den Jungfernstieg hasten. Wer aber frage ich, ist in Kappeln?

Erstens die Kappelaner. Und dann nur wenige Pappeln. Sowie eine Kuhmilch- und Gewinnbeteiligung ausstoßende Fabrik. Und ein verwunschenes altes deutsches Städtebild. Ein Ort für Don Quichotte, der heutzutage ja gar nicht mehr gegen Windmühlen, sondern gegen die geräuschvolle Motorisierung ankämpfen würde, vergeblich natürlich.

Ade, liebes Kappeln, lebe weiter freundlich dahin.

5 Kommentare

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  1. manfred rakoschek

    nu is dat wedder mol so wiet:
    de blanke hans is dor
    un alle scheunen pappeln
    neiht he üm in kappeln,
    dor kümmt wi nich mit klor.

  2. Katr!n Wummel

    Auf Dothmark auf dem Weg von der Fritz-Reuter- zur Nordstraße, zwischen/parallel zu Arnisser- und Theodor-Straße (also hinter dem Reinhardtschen Anwesen stehen/standen Pappeln. Dort habe ich für die Wuzzi-Ferienaufgabe „Blättersammlung“ gesammelt. Beim ASC sind/waren Silber-/Zitterpappeln.

    1. Konrad Reinhardt

      Die Pappeln standen auf dem Grundstück Thedor-Storm-Straße 26.

  3. Wolfgang Dieckmann

    Nach meiner Erinnerung stehen Pappeln am Hinnekock-Steg.

  4. Maren Sievers, geb. Bonau

    Die Pappeln in Kappeln (an der B199) sind doch vor 2 Jahren gefällt worden?

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