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Okt 01 2020

Bilderrätsel Nr. 572 – Nestlé-Baracken

Über die Flüchtlingssituation in Kappeln habe ich u. a. in meinem Beitrag über das Bekleidungswerk Liening ausführlich berichtet.

Zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene mussten nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang beengt und isoliert in ehemaligen Lagern des „Reichsarbeitsdienstes“, Zwangsarbeiterlagern oder eigens angelegten Massenunterkünften leben.

Im Raum Kappeln gab es mehrere solcher „Baracken-Lager“.

Frage: Wo befanden sich in den 50er-Jahren diese Baracken?

Bilderrätsel Nr. 572

Diesmal nenne zunächst diejenigen, die die Baracken erkannt haben – alles „alte“ Kappler, die sich irgendwie noch an die damaligen Örtlichkeiten erinnern konnten: Heino Küster, Harro Mehne, Konrad Reinhardt, Hans-Werner Panthel, Ingwer Hansen und Hartmut Hein.

Mit etwas Hilfe hat sich auch Maren Sievers dem Standort genähert.

Die Nestlé-Baracken

Der wichtigste Arbeitgeber in Kappeln war nach dem Kriegsende – neben Bernard Liening – das Nestlé-Werk.

Viele Flüchtlinge auch aus dem Ellenberger Lager fanden dort Arbeit, wie der Lehrer Martin Schmidt beschreibt.

Einige dieser Beschäftigten erhielten dann sogar die Möglichkeit, in Kappeln eine „Werkswohnung“ zu beziehen.

Dabei handelte es sich um drei Baracken am südlichen Ende des Nestlé-Werksgeländes, von denen zwei schon während des Krieges als Zwangsarbeiter-Unterkünfte dienten.

In dem geschlossenen firmeneigenen Stacheldraht-gesicherten Baracken-Lager, das nur zur Verrichtung der ihnen zugewiesenen Arbeit verlassen werden durfte, hausten damals auf engsten Raum zeitweise bis zu vierzig „Ostarbeiter“ (in der Mehrzahl Frauen) unter menschenwürdigen Bedingungen auf etwa sechzig Quadratmetern.

Nach dem Krieg wurden die Barackenwohnungen dann an Nestlé-Arbeiter und -Angestellte vermietet.

Hier zwei alte Ansichtskarten, auf denen die Lage der Baracken zu erkennen ist.

Kappeln - Nestlé-Werk (1959)Kappeln - Nestlé-Baracken (1959)

Kappeln - Luftbild (50er-Jahre)Kappeln - Nestlé-Baracken (50er-Jahre)

Die nördliche (braune) Baracke lag quer zum Werk, die beiden südlichen (helleren) parallel zur Straße.

Bahnhofsweg 14

Unter dieser – für alle drei Baracken geltenden – Anschrift wohnten laut Adressbuch 1954 folgende Personen (mit ihren Familien):

August Andresen, Kaufm. Angestellter – Anton Bartsch, Arbeiter – Jakob Bodler, Schlosser – Nicolaus Boysen, Autoschlossermeister – Peter Boysen, Hilfselektriker – Max Erichsen, Abteilungsleiter – Ida Fischer, Hausangestellte – Rudi Fischer, Arbeiter – Bringfried Fock, Kesselwärter – Karl-Heinz Franke, Maschinenbauer – Gerhard Friede, Mechaniker – Lina Geipel, Kaufm. Angestellte – Ilse Grünzel, Kaufm. Angestellter – Kurt Grünzel, Heizungsmonteur – Walter Guse, Techn. Zeichner – Rudolf Hänsch, Molkereimeister – Babette Hengge, – Johann Hengge, Rentner – Ludwig Köbbe, Rentner – Rudolf Kosch, Meierist – Hannelore Kuhse, Arbeiterin – Walter Kuhse, Arbeiter – August Metschulat, Elektromeister – Otto Moltzen, Pförtner – Horst Müller, Ingenieur – Johannes Paulsen, Werkmeister – Erich Pflanz, Klempner – Jakob Posch, Milchtechniker – Karl Reimer, Elektriker – Gerhard Richter, Mechaniker – Walter Ruhnau, Polizeikommissar – Heinrich Steffensen, Heizer – Paul Süßner, Molkereigehilfe – Lothar Waletta, Dreher – Kurt Winkler, Vorarbeiter

und laut (unvollstädigem) Adressbuch 1959:

Walter Bergs, Maschinen-Schlosser – Maria Bodler, Witwe – Nikolaus Boysen, Werkmeister – Hans Buhmann, Schlosser – Lina Geipel, Laborantin – Walter Guse, techn. Zeichner – Barbara Hengge, Witwe – Karla Irmer, Arbeiterin – Karl Jürgensen, Schlosser – Richard Krüger, Fabrikarbeiter – Walter Kuhse, Fabrikarbeiter – August Metschulat, Elektromeister – Erich Pflanz, Mechaniker – Josef Pogoda, Schlosser – Karl Reimer, Elektriker – Max Richter, Mechaniker – Helmut Rohwedder, Schlosser – Heinrich Steffensen, Arbeiter – Gerhard Suhr, Maschinen-Baumeister – Karl-Heinz Tüxen, Maschinen-Schlosser – Hans Wilsrecht, Werkmeister – Kurt Winkler, Vorarbeiter

In einer der Baracken lebte von 1952 bis 1960 auch die Familie meines Klassenkameraden
Axel Guse.

Seine Eltern waren Flüchtlinge aus Pommern, die sich nach der Rückkehr des Vaters aus französischer Kriegsgefangenschaft 1948 im Lager Ellenberg kennengelernt hatten.

1952 zog das Ehepaar mit Sohn Axel – Vater Walter Guse war technischer Zeichner bei der Nestlé – von Ellenberg um in eine dieser Werkswohnungen in der nördlichen Baracke auf dem Fabrikgelände.
2 Zimmer und Küche, Toilette auf dem Flur mit Nachbarn geteilt. Kein Bad. Monatliche Miete: 15 DM für 25 Quadratmeter.

Im September 1960 verließ die inzwischen fünfköpfige Familie die enge Behausung und zog in die Stettiner Straße 20, bis sie 1962 Kappeln den Rücken kehren musste, weil der Vater – jetzt Betriebsingenieur – zur Nestlé nach Mainz versetzt wurde.

Das Barackenfoto im Schnee von 1957/58 ist von der braunen Baracke aus aufgenommen. Mit wenigen Schritten nur über die Straße war man direkt an der Schlei, die sich links hinter den Baracken befand, nach rechts war ein freier Platz, von dort ging ein Weg zu den Gärten und über die Bahnschienen auch zur Königsberger Straße.

Die nächsten beiden Bilder von 1958 zeigen den Weg an den Gärten mit der damals noch immer existierenden Stacheldraht-Umzäunung aus der Kriegszeit.

Kappeln - Nestlé-Werk (1959)Nestlé-Baracken

Und schließlich noch ein Blick von der Straße aus sowie auf die Rückseite der Baracken, wo sich die Wohnungseingänge befanden.

Kappeln - Nestlé-Werk (1959)Nestlé-Baracken

Vielen Dank an Axel Guse für diese aufschlussreichen Bilder und Infos.

34 Kommentare

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  1. Axel Guse

    Hallo Achim, freut mich, dass so viele mitgerätselt (und die Baracken ja auch erkannt haben).
    Unser Austausch und jetzt die Kommentare haben wieder viele Erinnerungen geweckt, ich danke dir und euch.

    Dass so viele Menschen in den Baracken wohnten, ist mir als Kind nie bewusst gewesen, ich hätte geschätzt, dass wir da 5 bis 6 Familien waren :-) , aber die meisten waren sicher tagsüber auf Arbeit (und samstags ja auch noch).

    In Dothmark muss ein Kindergarten gewesen sein, aus dem mich meine Oma nach 2 Tagen „Haft“ wieder befreit hat. So war ich von 3 bis 6 wohl öfter in Ellenberg in den Baracken (eben bei Oma) als am Bahnhofsweg…

    Lang lang ist es her, schön sich gemeinsam an einiges zu erinnern.

    Hinnekock – den hab ich auch fast täglich erlebt, und mein Opa war mit mir ab und zu im Daddeldu…

    Liebe Grüße aus Rheinhessen (Weinregion) in die alte Heimat, Axel

    1. Ingwer Hansen

      Es ist immer wieder schön, wenn plötzlich Namen aus der Kindheit hier auftauchen die bei mir in einer leicht verstaubten Schublade gelandet sind. Mit Axel wurde ich ebenfalls eingeschult. Grüß dich alter Junge!
      Die Baracken sind mir noch gut in Erinnerung. Hin und wieder war ich dort mit meinen Eltern bei Bekannten zu Besuch.
      Standen dort nicht noch weitere Baracken südlich des Fußweges der zur Königsberger Str. führt?

      1. Axel Guse

        Hallo Ingwer, mal kurz schütteln, den Staub wegwedeln und deinen Gruß herzlich erwidern – lang her, unsere Schuljahre bei Frau Drews. Konnte mich auch an die meisten Namen nicht erinnern, erst wieder hier durch die Schulzeitreisen – eine tolle Idee (und viel Arbeit und Herzblut) von Achim.
        Zu deiner Frage: Ich erinnere mich nur an drei Baracken direkt hinter Nestlé, die beiden gelblichen standen parallel zur Straße (dahinter die Schlei), unsere dunkelbraune stand vorne quer – so hat sich ein fast quadratischer Platz (für Wäscheleinen etc.) ergeben. Am Ende des Platzes stand auch eine Art Baracke gegenüber den beiden gelben – das waren einzelne Ställe, die einigen Wohnungen zugeordnet waren (Keller gab es ja keine). Die vierte Seite wurde begrenzt durch den Weg, der an den Gärten vorbei und über die Bahn in die Königsberger Straße führte (und wohl noch existiert?).

  2. Konrad Reinhardt

    Im "Bilderrätsel Nr. 82 – Hinnekockstieg" beschreibt Rolf Nagel in seinem Kommentar die Lage der Nestle Barracken.

    1. Konrad Reinhardt

      Eine weitere Baracke erkennt man in Bild 3 noch in der Nähe des Nestle-Anlegekais

      1. admin

        Die habe ich auch sofort entdeckt, habe aber zunächst keine Bestätigung erhalten, dass sie auch zur Nestlé gehörte. Inzwischen erinnere ich mich wieder an alle Baracken und an den Fußpfad am Feldrand neben den Kleingärten hin zur Königsberger Straße.

    2. admin

      Danke für den Hinweis – eine hübsche kleine Ergänzung zu Axels Erinnerungen, der ja mit 12 Jahren aus Kappeln weggezogen ist.
      Rolfs „Schweinemilchweg“ hatte ich schon wieder ganz vergessen.
      https://www.schulzeitreisen.de/?p=9964#comment-882

  3. Wolfgang Dase

    Der Kirchturmder Nikolaikirche ist neben dem dritten Baum von rechts zu sehen. Es ist auf der Ellenberger Schleiseite, im Bereich Schiffergang.

  4. Hartmut Hein

    die sogenannten Nestlebaracken standen am Hinnekock steg bei der Nestle

  5. Wolfgang Dase

    Auf dem Gelände zwischen Reeperbahn und Wassermühlenstraße.

    1. admin

      Sorry, Wolfgang, ich war gerade dabei, dir zu deinem vorletzten Beitrag zu schreiben, dass weiteres Raten nichts bringt – aber du warst zu schnell.
      Es gibt Themen und Bilder, die sind so alt, dass sich eigentlich nur noch „alte“ Kappler daran erinnern – wenn überhaupt.
      Tatsächlich gibt es inzwischen 5 richtige Antworten – alle von „alten“ Kapplern.
      Das Gendersternchen kann ich mir diesmal sparen. ;)
      Du kannst jetzt gern noch außer Konkurrenz weiterraten, aber für die drei Damen, die sich beteiligt haben, schalte ich jetzt als Hilfe Konrads letzten Kommentar frei.
      Er kann's nicht lassen. :lol:

      1. Konrad Reinhardt

        So hab ich mir das auch gedacht!
        Deshalb hab ich den Kommentar auch rechtzeitig abgeschickt.

  6. Wolfgang Dase

    Am Ziegeleiweg

  7. Wolfgang Dase

    Neukappeln

  8. Ingwer Hansen

    In den "Anlagen", gegenüber der Nestle, da wojetzt der Museumshafen ist!

  9. Maren Sievers, geb. Bonau

    Auffanglager Faulück?? ( Brit. Zone)

  10. Runa Borkenstein

    Ellenberg , dort wurde ein Lager der "Kleinkampfverbände der Kriegsmarine" zum Flüchtlingslager umgebaut.

    1. Konrad Reinhardt

      ………und nun über die Brücke……..dann links……….am Wasser entlang

      1. Maren Sievers, geb. Bonau

        Dann komme ich auf
        die Königsberger Strasse, vll da
        wo man auf die Eisenbahn schauen
        kann/könnte.,..

        1. Maren Sievers, geb. Bonau

          oder der heutige Nestlewewg

  11. Konrad Reinhardt

    „Nestle Baracken“

  12. Runa Borkenstein

    "Ellenberg-Lager",
    erst Fischfabrik – dann Jugendaufbauwerk

  13. Hans-Werner Panthel

    Hinter Nestle, beim Weg zwischen Südhafen und Königsberger Straße

  14. Konrad Reinhardt

    Am Ende der Anlagen

  15. Maren Sievers, geb. Bonau

    Lüttfeld

  16. Wolfgang Dase

    Todt´sche Koppel

  17. Dr.Wolfgang Mehne

    Südlich an das Nestlewerk angrenzend

  18. Dr.Wolfgang Mehne

    In Ellenberg,dort wo der Marineartelleriestützpunkt später war.

  19. Wolfgang Dase

    Dothmark

  20. Konrad Reinhardt

    Wassermühlenholz

  21. Konrad Reinhardt

    Loitmark

  22. Konrad Reinhardt

    Hüholzweg

  23. Michaela Fiering

    Ellenberg, dort, wo die Schleiterassen gebaut werden.

  24. Heino Küster

    Am ehemaligen Nestléweg hinter der Nestlé

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