Anne Müller
Zwei Wochen im Juni
Leseprobe
Roman, Penguin Verlag, 238 Seiten, ISBN: 978-3-328-60109-8, 18 €
Anne Müller liest aus und berichtet über
„Zwei Wochen im Juni“ (Quelle: YouTube)
Man mag das für übertrieben halten, aber selbst meine Tageszeîtung landet erstmal für einen Tag in „Quarantäne“ – allerdings immer mit der Titelseite nach oben.
Und da sehe und lese ich „Anne Müller – Eine Autorin, zwei Romane“.
Wir „Eingeweihten“ wissen, das es in Wirklichkeit inzwischen schon drei sind.
Gelesen habe ich den Artikel dann am gestrigen Mittwoch und heute gebe ich den Inhalt an euch weiter.
Hier der entsprechende KN-Online-Beitrag vom 6. Juni 2020:
„Strand, Wolken und gute Luft“
„Home Office ist für mich als Autorin ja sowieso Alltag“, sagt Anne Müller, und dass sich mit Corona für sie nicht viel verändert hat. Aber in Berlin bekam die gebürtige Kapplerin zuweilen Sehnsucht nach der Weite der Ostsee, die im Roman „Zwei Wochen im Juni“ eine große Rolle spielt.
Von Ruth Bender
Kiel – Berlin. Freiheitsliebende Menschen haben es im Moment in Schleswig-Holstein ein bisschen besser als anderswo. Was verbindet Sie sonst mit der Ostsee?
Strand, Wolken, die gute Luft. Ich bin in Kappeln aufgewachsen, meine Mutter lebt dort. Aber zugegeben – Schleswig-Holstein ist im Sommerhalbjahr deutlich schöner als im Winter. Ich war im Februar für eine Lesung in Dänemark und habe in Kappeln Station gemacht. Und da fand ich es schon ein bisschen trostlos. Braune Äcker im Regen, sehr matschig. Aber auch das gehört zu Schleswig-Holstein; und das mag ich dann auch wieder, das Spektrum.
Die Geschichte von Ada und Toni, die nach dem Tod der Mutter ihr Elternhaus auflösen, spielt in Ihrer Kindheitsgegend. Wäre sie auch anderswo möglich?
Ja, das spielt irgendwo zwischen Kronsgaard und Falshöft. Eigentlich stehen da keine Häuser direkt am Meer. Aber ich dachte, warum soll es das in Filmen und Romanen immer nur an der amerikanischen Ostküste geben, warum nicht mal an der deutschen Ostseeküste! Und für mich hätte die Geschichte von Ada und Toni auch nicht am Chiemsee spielen können. Dann hätte ich sie so nicht schreiben können. Auch beim Drehbuchschreiben hatte ich immer schon das Gefühl, ich kann nur über Dinge schreiben, die ich kenne.
Die Landschaft, das Wetter spielen im Roman stark in die Stimmungen der Schwestern hinein.
Die Gegend ist für mich schon mehr als nur Kulisse. Ich weiß, darin kann ich die Gefühle und Befindlichkeiten meiner Hauptfiguren spiegeln. Das Wetter ist ja sehr vielfältig und schnell wechselnd da oben.
Da hört man die Drehbuchautorin sprechen. Haben Sie beim Schreiben immer Bilder im Kopf?
Ich glaube, ich denke sehr szenisch. Das hat ja auch dazu geführt, dass ich beim Drehbuch gelandet bin. Aber auch über meine Kurzgeschichten sagen viele, sie seien wie ein Film, der vor den Augen entsteht. Übrigens hatte ich auch diese Geschichte ursprünglich als Drehbuch geplottet. Es lag dann einige Jahre in der Schublade – und als ich es wieder hervorholte, erschien es mir eine schöne Geschichte für einen Roman. Mich haben dann aber weniger die Konflikte der Schwestern interessiert als die Frage, was macht der Tod eines Elternteils, das Auflösen des Elternhauses mit einem Menschen.
Wie sind Sie auf das Motiv gekommen? Aus der eigenen Erfahrung?
Nein, meine Mutter lebt Gottseidank noch recht fidel in Kappeln. Aber sie hat vor vielen Jahren ihr Haus verkauft, also mein Elternhaus, das ich sehr geliebt habe. Ich habe damals miterlebt, wie dann Interessenten durch das Haus laufen und das, was einem lieb und vertraut ist, plötzlich als Immobilie beäugt wird. Das fand ich schrecklich. Danach kam mir die Idee von zwei Schwestern, die ein Haus aufräumen – und dabei ihr eigenes Leben gleich mit.
Es geht um Tod und Verlust – das hätte auch eine traurige Geschichte werden können …
Eine Freundin hat mir tatsächlich vorgeworfen, dass da nicht genug geweint wird. Aber der Fokus ist für mich ja auch nicht der Tod, sondern das Leben.
Ada und Toni gehen in den zwei Wochen auf Erinnerungsreise …
Ich wollte die Vergangenheit über die Gegenstände erzählen, die Ada in die Hand nimmt. Da sind schöne Erinnerungen dabei, und auch traurige wie die Trennung der Eltern. So ist es ja oft, dass man sich die Toten durch Erzählen wiederbelebt. Auch bei Trauerfeiern erinnert man sich gemeinsam, lacht über Anekdoten. Die Mutter ist dadurch wie eine dritte Hauptfigur im Hintergrund.
Mütter und Töchter, aber auch Schwestern sind oft schwierige Beziehungen – wie wichtig war Ihnen der Teil der Geschichte?
Ich habe selber eine drei Jahre ältere Schwester, ich kenne also dieses Gefühl des Sich-Messens, Sich-Vergleichens. Gleichzeitig sind Ada und Toni durch die Abgeschiedenheit, in der sie aufwachsen, sehr eng. Da entstehen besondere Dynamiken. Klar, dass Toni, die selbst Familie hat und Kinder, den Abschied anders sieht als ihre Schwester, die Künstlerin, die einen verheirateten Mann liebt. Ada durchlebt ja die ganze Familiengeschichte noch einmal, wie eine Katharsis.
Wie entstehen Ihre Figuren?
Grob überlege ich vorab, wie die Figuren sein sollen. So bin ich als Drehbuchautorin geprägt. Aber dann war es hier tatsächlich so, dass sich die Protagonistinnen sehr entwickelt haben. Vor allem Toni – die ist mir während des Schreibens sehr ans Herz gewachsen, obwohl sie mir als Figur ein bisschen fremder ist als Ada. Aber sie hat einen tollen Humor, und beim Schreiben sind viele Dinge passiert, die mich als Autorin überrascht haben.
Zum Beispiel?
Ich habe hier auf dem Flohmarkt in der Nähe recherchiert, habe geguckt, was könnte jetzt in Gragaard gerade aussortiert werden. Auf Flohmärkten finden sich ja die unmöglichsten Dinge, komische alte Handschuhe und Handtaschen. So bin ich auch über einen alten Nussknacker gestolpert, den ich fotografiert habe, ohne zu wissen, wo ich ihn einbauen sollte. Jetzt steckt er in dem Weihnachtskapitel, hat es quasi ausgelöst. Das hat mir dann selber gefallen, dass mir die Figuren beim Schreiben so etwas vorschlagen und ich nur sagen musste: Bingo, ich nehme es.
Das Haus ist auch Heimat – braucht eigentlich Heimat diesen ganz bestimmten Ort, den die Schwestern jetzt aufgeben?
Ich denke nicht. Es ist eher eine Gegend, eine Landschaft, die Heimat bedeutet. Ich habe mich damals von meinem Elternhaus verabschiedet – aber die Gegend zwischen Kappeln und Gelting ist trotzdem mein Zuhause. Außerdem ist es nicht nur Herzensheimat, sondern auch Humorheimat. Im Norden gibt es eine Art, auf Dinge zu gucken, die ich nirgendwo sonst gefunden habe. Dieses Trockene, Lakonische, von dem ich auch geprägt bin. Auch das ist ein Stück Heimat.
Wie kommen Sie ohne diesen Humor in Berlin zurecht?
Naja, die Berliner können auch manchmal sehr witzig sein. Und ich habe hier auch Freunde mit Humor. Ich habe also keine Entzugserscheinungen.
Was vermissen Sie in Berlin von der Ostsee?
Wie oben: Die gute Meeresluft, den Strand. Es gibt nichts Erholsameres, als am Strand zu gehen. Aber als ich letztens in Maasholm stand mit Blick auf Schleimünde, da kam mir auch direkt eine Idee für eine vierteilige Serie. Da oben schlummern noch ganz viele unerzählte Geschichten.
Seit einiger Zeit ändert sich das. Vor allem als Krimi-Kulisse ist Schleswig-Holstein beliebt. Haben Sie darüber auch schon mal sinniert?
Bei der Vertreterkonferenz im Verlag hat mir kürzlich jemand gesagt: Fangen Sie bloß nicht an, Krimis zu schreiben, Sie können so toll Familie erzählen. Und ehrlich gesagt, finde ich unser deutsches Fernsehen in dem Genre auch überbelegt. Ich komme ja von der Komödie her, und finde, davon werden viel zu wenige gemacht.
Das Leichte hat bei Ihnen aber Raum für ernste Untertöne …
Klar, die Trauer um die Mutter ist da; aber ich wollte auch die Kraft und die Energie, die in der Erinnerung liegt, betonen. In der Trauer liegt eine Verwundbarkeit, die etwas öffnet. Deswegen hat das Buch auch den Aspekt von Neuanfang und Aufbruch. Beides ist aber erst möglich, wenn man etwas anderes verarbeitet, liebevoll verabschiedet hat.
Sind Sie selbst jemand, der gern in alten Fotoalben blättert, sich in Erinnerungsarbeit stürzt?
Erinnerung ist für mich weniger Arbeit als Spiel. Ich erinnere mich auch sehr gut. Natürlich ist das alles subjektiv, aber es ploppt oft auf und es macht mir dann Spaß, was mir widerfahren ist, durch Erinnern lebendig zu erhalten. Das heißt nicht, dass man nicht in der Gegenwart lebt. Ich finde es auch interessant, wenn sich andere erinnern und davon erzählen. Das fasziniert mich.
Es kann aber auch ganz schön melancholisch machen …
Aber die Melancholie gehört doch dazu! So ist es eben beim Erinnern, da spielt auch Wehmut mit rein. Das lachende und das weinende Auge – das macht mich auch als Persönlichkeit aus. Und auch Ada hat dunkle Erinnerungen, und sie muss erkennen, dass auch die ihr Leben sind. Dafür steht im Roman die Matroschka, in der die verschiedenen Versionen unseres Selbst stecken.
Das Buch ist mitten in der Corona-Zeit herausgekommen. Sie konnten es also nicht auf Lesungen vorstellen. Vermissen Sie das?
O ja. Es ist unheimlich wichtig, ein Buch, an dem man eineinhalb Jahre gearbeitet hat, endlich vor Publikum zu präsentieren. Da sitzen dann 40, 50 Leute, meist Frauen, hören zu, fragen, möchten, dass ich signiere. Das ist ja wie eine Initiation, eine Taufe. Die ist jetzt komplett ausgefallen; es ist ein bisschen, als wenn das Buch gar nicht sichtbar würde. Das macht mich schon sehr traurig.
Und wann fahren Sie wieder an die Ostsee?
Spätestens Ende Juli. Am 7. August ist auch eine Lesung in Kappeln geplant und ich hoffe sehr, dass die stattfinden kann. Im Moment haben wir das noch fest vor!
1 Kommentar
Runa Borkenstein
3. Juli 2020 um 21:17 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
… ich freu mich schon auf „Zwei Wochen im Juni“… wannauchimmer!