Dass ich über dieses Buch auf jeden Fall einen Beitrag verfassen würde, war von Anfang an klar. Auch dass es kein klassischer „Buchtipp“ werden kann. Dazu ist das Thema einfach zu speziell und außerdem handelt es sich um ein ziemlich umfangreiches sozialwissenschaftliches Werk, zu dem nicht jede/r unbedingt einen Zugang findet, es sei denn, sie/er hat eine eigene „Dänemark-Affinität“ oder interessiert sich für solche besonderen zeitgeschichtlichen „Nachbarschafts“-Themen.
Da auf mich persönlich beides zutrifft, konnte ich vorab ein klitzekleines bisschen zum Inhalt beitragen. Aus diesem Grund möchte ich euch das Buch, das in diesen Tagen erscheint, jetzt vorstellen.
Detlef Siegfried
Alternative Dänemark
Kosmopolitismus im westdeutschen Alternativmilieu 1965-1985
Reihe: Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte; Band 61
Gebundene Ausgabe
640 Seiten, 44 Abbildungen
Erscheinungstermin: 25. April 2023
Verlag: Wallstein
ISBN 978-3-8353-5368-8
Preis: 48,00 € (D)
Zur Orientierung zunächst das
Inhaltsverzeichnis
Das gute Leben im falschen. Einleitung
Deutsche und Dänen nach 1945. Eine Skizze
Groß und klein. Grundzüge des dänischen Nationalismus – Neuarrangements nach dem Krieg – Die politischen Beziehungen nach 1955 – Annäherungen in der Alltags- und Populärkultur – Intellektuelle Impulse – Streit um die Europäische Gemeinschaft – Einstellungen in den Bevölkerungen – Dänemark und das vereinte Deutschland
Politische Spielräume
1. Jenseits von Sozialdemokratie und Kommunismus. Der SDS und die dänische Neue Linke
Dänemark und der Internationalismus der westdeutschen Neuen Linken – SDS und Socialistisk Folkeparti – Abendroth, Schmiederer und die Differenzen im deutschen Linkssozialismus – Venstresocialisterne. Misere einer Bewegungspartei – Von Skandinavien in die Welt. Globale Perspektiven ab 1970
2. Exil für Dutschke und andere
Asyl für einen Revolutionär? Innerdänische Konfliktlinien – Die Attraktion der dänischen Kommunen. Familie Dutschke in Aldershvile – Arbeit an der Universität Aarhus – Zwischen Dänemark und Deutschland – „Berufsverbot“: Dänemark als Exil der westdeutschen Linken?
– Der andere Exilant: Henning Eichberg, Rudi Dutschke und die Rückkehr der Nation
Gegenkultur in der Konsumgesellschaft
3. Sexuelle Revolution? Bundesbürger im Pornoparadies
Das freizügige Land. Sexualstereotypen vor 1967 – Dänische Porno-Industrie und deutscher Markt Revolution oder Kommerz? Deutungskonflikte in der westdeutschen Linken – Deutsche Besucher auf der Kopenhagener Pornomesse 1969 – Der Kutschinsky-Report zu den Folgen der Pornographie-Freigabe
4. Deutsches Epigonentum und dänische Authentizität. Das Roskilde-Festival
Nach der Waldeck: Kommerzialisierung und Gegenwehr – Vergemeinschaftungsmodus Roskilde: Freiraum und Engagement – Deutsche auf dem Festival – Medienresonanz in der Bundesrepublik – Dänische und deutsche Bands: Spontaneität versus Epigonentum – Selbsttätigkeit versus Kommerz – „Rechte“ Identifikation und „linke“ Distanz – Dänemark in a Nutshell
Jenseits des Wohlfahrtsstaats
5. Das Spiel als Abenteuer. Abenteuerspielplätze
Wildheit und Improvisation. Der Wandel der Stadt und des Kindheitsideals – Der dänische Abenteuerspielplatz als Vorbild – Das Ende des Schonraums. Risiko statt „Überbetreuung“ – „Verspätung“ und Radikalität. Spezifika westdeutscher Wahrnehmungsmuster – Abenteuer durch Sicherheit
6. „Schlechtes Gewissen eines kranken Dänemark“. Deutsche in Christiania
Magnet der internationalen Counterculture – Aktivisten als Forscher: Monika Grau und Heiner Gringmuth – Die „Freistadt“ in der alternativen Öffentlichkeit der Bundesrepublik – Achtung, Touristen! – Ein westdeutsches Christiania? Adaptionsversuche – Support Christiania. Das internationale Netzwerk – Kritik der Gesellschaft und des dänischen Staates
Von Europa in die Welt – alternatives Reisen
7. Kopenhagen als Metropole des europäischen Alternativtourismus
Welterfahrung durch Auslandsreisen – Backpacker, Drifter, Alternativtouristen – Destinationen des Alternativmilieus: London, Amsterdam, Kopenhagen – Grundzüge des westdeutschen Dänemark-Tourismus – Der Kopenhagen-Boom seit 1971 – Kosmopolitische Orte: Sleep-Ins und Use-it – Det Ny Samfund, Huset und die alternative Infrastruktur Kopenhagens – Kritik des Alternativtourismus
8. Ambivalenzen der Effizienz. Tvind in Westdeutschland
Tvind als revolutionäre Schule – Arbeit, Gemeinschaft, Disziplin. Die innere Ordnung – Paul Röhrigs Exkursionen und der „Danske Bacillus“ – Von Tvind nach Poona. Die Hannoveraner Gruppe Neue Kultur – Die pädagogische Debatte – Die Spannungsfelder: Sex & Drugs, Arbeit & Freizeit, Kollektiv & Individuum – Deutsch-dänische Stereotypen
9. Tvind, Wolfsburg, Kathmandu. Reisende Hochschulen im globalen Süden
Die Reisenden Hochschulen in der Bundesrepublik – Primat der Praxis – Das Andere erfahren – die kosmopolitische Perspektive – Der Einzelne und die Gruppe – Kritik des alternativen Dritte-Welt-Tourismus
Aporien des alternativen Kosmopolitismus. Ein Fazit
Von Süden her: Dänemark als gesellschaftliche Alternative – Vier Heimaten. Räumliche Orientierungen im Alternativmilieu – Dimensionen kosmopolitischer Praxis: Europa und die Welt
Im Mai 2022 hatte ich den Buchtipp „Time Is on My Side“ veröffentlicht.
Nachdem der Autor Prof. Detlef Siegfried auf meinen Beitrag zum Roskilde-Festival 1977 gestoßen war, hatte ich Gelegenheit, ihm ein bisschen über meine „Dänemark-Affinität“ und mein/unser Leben in den Sechzigern und Siebzigern zu erzählen.
Immerhin entstanden daraus etwa fünf von den 640 Seiten, die das Buch umfasst. Zun finden sind sie im 4. Kapitel – Deutsches Epigonentum und dänische Authentizität. Das Roskilde-Festival.
Die Fotos im nachfolgenden Auszug sind nur bedingt Bestandteil des Buches.
Das Roskilde-Festival
Deutsche auf dem Festival
© Wallstein Verlag, Göttingen 2023
Johannes Feil Sohlmans Foto-Text-Band über das Roskilde-Festival enthält das Bild einer zerstörten Gitarre im Matsch, die dem Fotografen und Filmemacher Henrik Jongdahl aufgefallen war – von ihm stammt die Aufnahme. Das zerstörte Instrument, umrahmt von Schuhabdrücken im zerwühlten Festivalgelände schien ihm wohl irgendetwas zu symbolisieren – was genau, ist unklar. Jedenfalls ging es dem Herausgeber offenbar ebenso, der das Foto groß auf eine Doppelseite zog. Hinweise auf die Herkunft der Gitarre bietet die Abbildung nicht, aber bei genauerem Nachforschen eröffnet sie einen tiefen Einblick in die kulturellen und politischen Konturen der deutschen Alternativszene samt ihrer Dänemark-Affinitäten.
Das Instrument gehörte zum Gepäck einer Kieler Wohngemeinschaft, die das Roskilde-Festival 1977 und 1978 besuchte. »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern / Er will unter sich keinen Sklaven seh’n und über sich keinen Herrn« – eine Tonaufnahme vom Vorjahresfestival 1976 dokumentiert, wie Achim Gutzeit, ihr Besitzer, bei seinem ersten Roskilde-Besuch (noch ohne WG) mit Freunden das »Einheitsfrontlied« von Bertolt Brecht und Hanns Eisler intoniert – begleitet von Klatschen und viel Festivalatmosphäre: »Drum links, zwei, drei, drum links, zwei, drei / Wo dein Platz, Genosse, ist / Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront / Weil du auch ein Arbeiter bist«.
Kurz vor Beginn des Songs hört man einen Deutsch radebrechenden Dänen: »sozialistisch, nicht nazistisch bitte«. Offenbar handelte es sich um den letzten Teil eines Disputes über die gewünschte Musik. Replik eines Kielers: »Hast du was gegen Beethoven? Beethoven ist Revolutionär, du.« Ein anderer: »Wir spielen jetzt einen von Brecht.« Applaus. Dieser Clip atmet westdeutschen Zeitgeist einer bestimmten Milieuprägung, gemischt mit dänischem Kolorit.
Das Schicksal, das die Gitarre 1977 ereilen sollte, hatte ihr Besitzer entschieden, der dieses Mal gleich seine ganze WG zum Festival geschleppt hatte. »Das war ich, und das war auch so geplant, dass sie in Roskilde zurückbleiben sollte.« Gitarrenzerstörung war ein symbolischer Akt, der seit zehn Jahren zum ästhetischen Repertoire der Popmusik gehörte, am prominentesten eingesetzt von Jimi Hendrix auf dem Festival von Monterey am 16. Juni 1967 und – schon zuvor – von Pete Townshend. Der Kopf der britischen Band The Who hatte das Destruktionsprinzip zum markantesten Merkmal seiner Bühnenshow gemacht, indem er gegen Konzertende regelmäßig das Instrumentarium zerstörte und damit Begeisterungsstürme hervorrief. Entsprechend agierte die Band bei ihrem Auftritt am 22. April 1967 in Radio Bremens »Beat Club«, wo sie zu »Pictures of Lily« die Verstärkeranlage zerlegte – und damit diese Technik bis in den letzten Winkel der Bundesrepublik bekannt machte. Townshend hatte die an der Ealing School of Art vorgeführte »auto-destructive art« des jüdischen Emigranten und Fluxus-Künstlers Gustav Metzger adaptiert, der dort während eines Gastvortrags einen elektrischen Bass zerstört hatte. Von der Bühne hatte Regisseur Michael Leckebusch das demonstrative Moment der virtuellen Selbstzerstörung auf die Bildschirmästhetik des »Beat Club« übertragen und es damit in der Bundesrepublik etabliert.
Heute nach Jahren wieder das Buch in Händen, stellt Achim Gutzeit fest, dass die zerstörte Gitarre auf Jongdals Foto nicht die seine gewesen sein kann – denn es stammt von 1980, während sein Instrument dem Festival von 1977 zum Opfer fiel. Ein Datierungsirrtum, wie er Zeitzeugen nicht selten unterläuft. Er ändert nichts am Mythos des zerstörten Instruments und an der Geschichte der Kieler WG, die vielfach dokumentiert ist.
In ihrer ursprünglichen Besetzung (mit Modifikationen) bestand die Wohngemeinschaft der Rathausstraße 11 im Kieler Stadtzentrum von 1974 bis 1979. Ihre Mitglieder hatten sich an der Universität bei der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) getroffen, die einen »Arbeitskreis Wohnen« ins Leben gerufen hatte und sich theoretisch mit alternativen Wohnformen beschäftigte, u. a. auf Grundlage von Horst Eberhard Richters »Lernziel Solidarität«. Praktisch wurde es, als die Kieler Stadtverwaltung überzeugt werden konnte, der Gruppe das zum Abriss vorgesehene Haus zur Verfügung zu stellen. Die Kieler ESG betrieb dies systematisch, um Alternativen zum isolierten Wohnen in Studentenwohnheimen zu schaffen – mindestens fünf Immobilien wurden so vor dem Abriss bewahrt und dem kollektiven Wohnen zugeführt.
Gutzeit betont, dahinter habe eine »Ideologie« gestanden: »Wir hatten die ›Idee‹ von einem alternativen gemeinschaftlichen Leben im Gegensatz zu dem ›kleinbürgerlichen‹ um uns herum.« »Allein die Stadt Kiel vom Abriss der Rathausstraße 11 abzuhalten und dieses Experiment zu wagen, war politisch ein riesiger Erfolg und ein Stück Umdenken bei den Verantwortlichen im Kieler Rathaus.« Dass das »Lernziel Solidarität« im Detail nicht so einfach zu erreichen war, liegt auf der Hand, aber die Leute aus der Rathausstraße hatten »zumindest die ersten zwei bis drei Jahre intensiv daran gearbeitet« und standen in ständigem Erfahrungsaustausch mit anderen WGs.
Nach der Renovierung zogen acht Leute in paritätischer Geschlechterverteilung ein. Achim und Mani studierten Psychologie, zwei weitere Sozialpädagogik, die anderen »irgendwas mit Lehramt« bzw. gingen noch zur Schule. »Gute Leute«, so der später vom Dorf hinzugekommene Dieter Kramer, Kriegsdienstverweigerer und gelernter Buchdrucker, »Leute, die auch lernen wollen, aber auch für alles ’ne Erklärung wollen, auseinanderpflücken jedes Wort.«
Schon rein äußerlich stach das Backsteinhaus aus dem Straßenbild hervor mit seinen gelb-rot gestrichenen Fenstern und der Haustür, das große Tor mit einer mannshohen und ebenfalls gelben Hausnummer verziert. Wie die Aufnahme vom Festival vermitteln insbesondere visuelle und akustische Quellen einen Eindruck vom Leben der Wohngemeinschaft.
Ein zwölf Minuten langer, »Egalité Liberté Fraternité« betitelter, im Frühjahr 1979 aufgenommener und musikalisch von den Ramones und anderen Punkbands unterlegter Schmalfilm zeichnet folgendes Bild: Gemeinschaftsraum mit Fernseher, Musikanlage und Bücherregalen, Roskildeschal und Plakat von der Bob-Dylan-Tournee 1978 an der Wand, Küchengewusel, die mit Seepferdchen und Roskilde-Sticker geschmückte Tür zum künstlerisch verzierten Badezimmer, vor der Haustür VW Käfer, Opel Commodore und diverse andere Autos.
Auf der Tonaufnahme von einer WG-Party 1975 singt Achim zur Gitarre John Lennons »Working Class Hero«, während allmählich die Gespräche verstummen, ein Kazoo und ein Schellenring einsetzen.
Eine Website dokumentiert die Tickets der von Achim besuchten Konzerte des Jahres 1978: Frank Zappa, Patti Smith, Ramones, Chuck Berry, Bob Dylan – und das Roskilde-Festival mit Bob Marley, Rory Gallagher und Elvis Costello. Im selben Jahr nahm er aber auch an der SPD-Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Kieler »Matrosenaufstandes« teil, bei der neben Wolf Biermann und der Band Schneewittchen auch der ehemalige Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats auftrat.
In die Zeit vor der Rathausstraße führt ein weiterer, sechs Minuten langer Super-8-Film von 1971. Er dokumentiert Impressionen einer Zweier-WG, die Achim und Mani 1969 in Kiel-Ellerbek gebildet hatten. Der Streifen ist mit britischer und US-Popmusik unterlegt, von experimenteller Machart und hat einen deutlich politischeren Einschlag. Er zeigt Wandmalereien, einen Stapel Spiegel-Hefte, ein Magazin über Bob Dylan, Porträts von Karl Marx, Janis Joplin, Lenin, Sigmund Freud – unter einem Ho- Chi-Minh-Poster liegt Achim im Bett und liest Mao, Marx und Asterix, auf dem Tisch die rororo-Ausgabe von Masters / Johnson, »Die sexuelle Reaktion«, überall Skulpturen und Malereien. In den Wohnräumen geraucht und Bier getrunken wurde in Ellerbek ebenso selbstverständlich wie im Stadtzentrum.
Achim Gutzeit war damals nicht, wie der Film nahelegen könnte, Maoist, sondern SPD-Mitglied und »glühender Fan« des linken schleswig-holsteinischen Vorsitzenden Jochen Steffen, außerdem »höchstens« SDAJ-Sympathisant. Er trat aber 1972 aus der SPD aus und hielt sich künftig von Parteien fern.
In diesen Quellen entfaltet sich ein durchaus typisches Panorama alternativen Lebens, in das sich der Besuch des Roskilde-Festivals stimmig einbettet: Leben in der überschaubaren Gemeinschaft mit viel Alberei, Informalität und Improvisation, linkspolitisches Engagement, künstlerische Kreativität, wechselnde musikalische Vorlieben nach UK- und US-Vorbildern mit der Konstante Dylan, politisch revolutionäre Leitfiguren und rebellisches Liedgut bei changierenden Neigungen im linken Spektrum, Comics und sexualemanzipatorische Lektüre, avancierte Unterhaltungselektronik und handgemachte Musik, gemeinsames Singen, Autos, um zum Beispiel nach Dänemark zu kommen.
Ein spezifisches Merkmal dieser lokalen Szene beruht auf ihrer geografischen Lage, der Nähe zu Dänemark und zur dänischen Sprache. Dies unterscheidet sie von anderen bundesdeutschen Roskildefahrern. Ein Blick in die Vorgeschichte legt popmusikalische Dänemark-Affinitäten jedenfalls einiger der hier infrage stehenden Akteure frei. Achim Gutzeit wuchs in Kappeln an der Schlei auf, was für junge Leute in den 1960er Jahren den Vorteil hatte, dänisches Pop-Radio in UKW-Qualität empfangen zu können.
Sein Freund Eckehard Tebbe erinnert sich an die Nachmittagssendungen, die Jørgen de Mylius seit 1963 in Danmarks Radio P 3 moderierte: »Top-20«, »Efter Skoletid« (»Nach der Schule«) und »For de unge« (»Für die Jungen«). Mylius war damals 16 Jahre alt, hatte sich über das Programm des eben gegründeten ersten öffentlich-rechtlichen Unterhaltungskanals P 3 beschwert und wurde sofort angeheuert – ein Vorgang, der in westdeutschen Rundfunkanstalten undenkbar gewesen wäre. Nah an den Präferenzen der Zielgruppe, spielte er, was seine Altersgenossinnen und -genossen hören wollten. Wie Eckehard Tebbe am Tonband in Kappeln: »Und so geht das jeden lieben Tag. Jørgen fährt das Traum-Programm, ohne Pause. Ich schneide mit, was mein begrenzter Etat für BASF-Bänder hergibt.« Freddy Cannon, Kathy Kirby, die Swinging Blue Jeans – Musik, so Gutzeit, »die wir im NDR nie zu Gehör bekommen hätten«, und nicht nur einen oder die bekanntesten Titel. »Nein, Danmarks Radio schenkt dir auch mal eine erstklassige B-Seite, einen übersehenen, allseits vergessenen EP-Track oder die Crème eines Albums«, so Tebbe. Die ganzen 1960er Jahre hindurch boten die westdeutschen Sendeanstalten nach der Meinung junger Hörerinnen und Hörer viel zu wenig Unterhaltungsmusik für Jugendliche. 1969 hatte sich die Situation angesichts wachsender Publikumsansprüche so zugespitzt, dass die Zeitschrift Twen eine Unterschriftensammlung für ein viertes Programm startete, das ganztägig Popmusik ausstrahlen sollte. Vorbild waren ausländische Sender, allen voran Radio Luxemburg, aber auch Ö 3 des Österreichischen Rundfunks, BBC Radio One und eben das dänische P 3.
Dessen regelmäßiger Genuss kam auch den Fremdsprachenkenntnissen zugute. Tebbe konnte die dänischen Nachrichten, bei denen er mit dem Finger auf der Aufnahmestaste des Tonbandgeräts schon vor dem Radio saß, um keinen Moment von Mylius’ Sendungen zu verpassen, »nach Monaten konzentrierten Zuhörens schon fast verstehen«. Achim Gutzeit hatte durch seine Mutter und die Flensburger Großmutter »immer eine große Affinität zu Dänemark und der dänischen Sprache« und belegte in den 1960er Jahren einen Dänischkurs an der Volkshochschule, später einen weiteren mit Leuten aus der WG an der Uni. »Auf dem fantastischen Festival 1976 beherrschte ich dann am zweiten Tag die Sprache nahezu perfekt.« In dieser Zeit plante er »ernsthaft«, »in dieses wunderbar liberale Land auszuwandern«. Einer seiner Freunde ging tatsächlich nach Dänemark, wo er heute als Profi-Musiker arbeitet.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags könnt ihr euch den betr. Abschnitt hier zum Ausdrucken als PDF downloaden.
Hinweis: Die Fußnoten-Links in der PDF-Datei sind anklickbar!
1 Kommentar
manfred rakoschek
22. April 2023 um 23:10 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
zur DK-affinität: ich sitze gerade auf fanö,
zum vierundvierzigsten mal nordsö.
nach roskilde ziehen mich die wikinger,
fuhren an kappeln vorbei auf dem weg nach haithabu:
faszination drachenboot.
auch ein wrack wurde bei karschau geborgen,
kurz hinter arnis in 2000 (wikipedia weiß mehr)!
und dann noch der film vom ostring:
ein kurzer draht zu unserer vergangenheit:
danke für das wieder-herbei-holen, achim