Da sich kurzfristig einige tolle Materialien angefunden haben, folgt hier als Ergänzung zum Fehmarn-Kappuzzle® jetzt doch noch ein eigener Festival-Beitrag.
Freikarten
Das Fehmarn-Festival 1970 hatte eine Menge Sponsoren. Im NDR konnte man bei „Nach der Schule – Musik für junge Leute“ Freikarten gewinnen, wenn man einen Fünfzeiler verfasste. Ich verfasste gleich mehrere und versah die Postkarten jeweils mit einem unserer Namen als Absender. Zwei Gedichte gewannen und Ulli und ich erhielten jeder eine Freikarte vom NDR zugesandt. „Mein Gedicht“ wurde unter Nennung meines Namens sogar von Lutz Ackermann in der Sendung vorgetragen, weil ich „die Jury“ besonders dadurch beeindruckt hatte, dass mir mit „Nähgarn“ ein echter Reim auf „Fehmarn“ eingefallen war. Wie man in unserem späteren „Knickgedicht“ sieht, wäre „Schneemann“ zur Not auch gegangen. Das Gedicht selbst ist leider verschollen, aber die einzelnen Zeilen waren ohnehin nur künstlich um diesen Reim herumkonstruiert und weitgehend bedeutungslos. Das zweite „prämierte Werk“, das ich auf Ullis Namen eingeschickt hatte, war inhaltlich umso dramatischer:
Ich hock versonnen auf dem Meiler
und les ein Buch vom Toni Sailer.
Da ruft die Mutter: „Bring das Beil her,
denn bevor er wird noch geiler,
tötet Vater jetzt den Keiler.“
Ulli arbeite damals auf dem Amtsgericht in Kappeln und wer den Büroalltag kennt, der weiß, dass dort die Lektüre der Bildzeitung bei einigen Kollegen damals wie heute zum täglichen Ritual gehört. Auch BILD unterstützte das Festival und verloste 1000 Freikarten. Dazu musste man Druckfehler finden, aus denen sich ein Lösungswort ergab. Was ich mit den Gedichten beim NDR gemacht hatte, erledigte Ulli bei der Bildzeitung: vier Postkarten mit der richtigen Lösung, verschickt mit vier verschiedenen Absendern. Da die Schnittmenge der damaligen Musikfreaks und der BILD-Leser recht übersichtlich war, konnte man relativ leicht auch auf diese Weise zu Freikarten kommen. Und siehe da: es klappte auch dort.
Leider hatten wir am Donnerstag vor dem Festival bereits zu unseren beiden gewonnenen NDR-Karten bei Kihr-Goebel in Kiel zwei dazugekauft. Nachdem dann Ulli ganz kurzfristig auch noch eine gewonnen hatte, mussten wir auf dem Weg nach Fehmarn, den wir zu viert in Hannas Käfer zurücklegten, vorher noch mal kurz in die City, um eins unserer Tickets zum Verkauf „in Kommission“ zu deponieren, was unter nochmaligem Abzug einer kleinen Bearbeitungsgebühr auch gelang.
Über das Festival selbst kann ich kaum mehr berichten als alle Anderen: die Wege, die Hells Angels, der Sound und natürlich das Wetter. Wir waren mit unseren Parkas und dicken Pullovern recht gut darauf eingestellt und machten es uns, wenn es draußen vor Sturm und Regen wirklich nicht möglich war, das laufende Konzert zu verfolgen, in unserem Zweimannzelt so kuschelig wie möglich – mit freundlicher Unterstützung von Johnny Walker vom Kappelner Butterdampfer.
Mad Mantek – Gold & Silber
Fehmarn 1970
Die Musik war durchwachsen. Einige Bands, auf die man sich gefreut hatte, waren gar nicht erst erschienen, weshalb viele glaubten, dass auch Jimi bestimmt nicht kommen würde. Aber andere Konzerte waren dafür ganz toll und man hat einige damalige Größen wenigstens mal live erlebt: Ginger Baker’s Airforce, Keef Hartley, Sly & The Family Stone und Alexis Korner als Moderator. Tief beeindruckt war ich vom intensiven und nicht enden wollenden Blues der Gruppe Canned Heat, deren unter Depressionen leidende Leadsänger und Mundharmonikaspieler Alan Wilson sich zwei Tage zuvor das Leben genommen hatte. Wenn die nicht gekommen wären – das hätte ich verstanden.
Für den Fall, dass wir uns zwischen den Tausenden von Leuten aus den Augen verlieren würden, hatten wir uns jeder mit einer Trillerpfeife ausgestattet. Das war dann auch bei Sturm und Regen und viel zu eng stehenden Zelten gerade in der Dunkelheit eine Riesenhilfe, um das heimische Zelt zu wiederzufinden, auch wenn wir dafür einige Male einiges aushalten mussten. Mitten in der Nacht von einem grellen Pfiff ein oder zwei Meter vom Ohr entfernt im dunklen Zelt aufgeschreckt zu werden, ja das hätte mich auch genervt. Glücklicherweise blieb es bei Flüchen und Drohungen. Aufkommende Befürchtungen, Prügel zu beziehen und womöglich im Matsch zu landen, wurden vom Antwortpfiff aus dem „Basislager“ gleich wieder weggeblasen.
Unser Tonbandgerät kam wegen des widrigen Wetters kaum zum Einsatz und das, was wir versuchsweise aufgenommen hatten, war völlig unbrauchbar. Dafür wird aber in einem der letzten Fragmente dokumentiert, dass eine Trillerpfeife nicht immer mit Lärmbelästigung verbunden sein muss, sondern auch eine beruhigende Wirkung haben kann, wie die folgenden von Ulli erzeugten meditativen Klänge belegen.
Mad Mantek – Trillerpfeife
Fehmarn 1970
Eine meiner damals angesagten Bands, die wir erst wenige Monate vorher entdeckt hatten, waren Ton Steine Scherben (angekündigt als „Rote Steine“), die erst am Sonntagnachmittag auftraten. Nachdem Jimi Hendrix seinen Auftritt immer wieder herausgezögert hatte, weil angeblich die ersten Zeltreihen zu dicht an der Bühne standen und damit vielen Festivalbesuchern den Raum nahmen, das Konzert zu verfolgen, meinte Rio Reiser: „Wir fangen erst an zu spielen, bis dahinten sämtliche Zelte weg sind … und die Bäume … und die Häuser …“ Großes Gejohle, prächtige Stimmung – zumindest bei den Insidern. Andere sollen den Song „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ zum Anlass genommen haben, das Veranstalterzentrum in Brand zu stecken. Na ja. Bei den Typen musste man nicht lange hingucken, um zu wissen, wozu sie in der Lage waren. Die brauchten keine Aufforderung.
Unterm Strich war es für uns zumindest ein preiswertes Vergnügen – zehn Mark Spritkosten und wenn die Post nicht damals schon so lahmarschig gewesen und eine weitere Freikarte erst ein paar Stunden nach unserer Abreise in unserem Briefkasten gelandet wäre, hätten wir vier sogar komplett freien Eintritt gehabt – denn so viele Freikarten hatten wir gewonnen!
Tagebucheintrag von Mani
6.9.70 23.15
Also – Mensch. Regen, Wind, keine Gruppen, Regen, Wind, heute Zusammenrottung und das Organisationszentrum ging in Flammen auf. Wir hatten 20.15 noch in Plastik vermummt in der Menge gesessen, dann ging es los mit Flaschenwerfen gegen die Bühne, wir gingen in Richtung Zelt, sahen es brennen, latschten die ca. 2 km zum Auto, gerade noch Sekunden bevor eine Kolonne Polizei kam, saßen 20.25 im Auto, trafen auf der Rückfahrt eine MENGE Eutiner Polizei, Ulli sprang am Hbf auf den anfahrenden Zug. Und hier zu hause lag für mich eine Freikarte von der Bildzeitung, Achim hatte ein Rätsel mitgemacht. SCHEISSE, ABER WIR WARN DABEI.
Impressionen vom
Fehmarn-Festival 1970
Fotos: Manfred Rakoschek
3 Kommentare
Sabine Brunckhorst-Klein
9. September 2015 um 18:49 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Und dann blieb da noch das finanzielle Fiasko für die Veranstalter.
Einige Jahre später lernte ich einen Mitorganisator kennen, den dieses Event in die Dauer-Pleite geführt hatte. Jedes verdiente Geld würde man ihm dauerhaft wegpfänden, so sagte er.
Ich war auch auf Fehmarn und finde in Mannis Gedicht wirklich alles wieder, was ich erlebt habe: diese fürchterliche Nässe, das Gegröhle, das Warten auf die Auftritte, Frust auf ganzer Linie…
Und wir waren so voller Vorfreude und auch Stolz: Die Größen der Rockmusik aus der weiten Welt bei uns in SCHLESWIG-HOLSTEIN.
Manfred Rakoschek
7. September 2015 um 10:39 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
hier nun also das ganze vergnügen:
Fehmarn, war’n es hunderttausend
Aus den Wolken schoß der Regen brausend
Aus allen Städten kamen sie in Scharen
Der Regen troff aus Bart und auch aus Haaren.
Die Gruppen kamen meistens nicht
Der Regen nahm uns jede Sicht.
Bratwurst war nicht allzu teuer, Plumpsklos gab es auch genug
Alles haben sie versprochen, doch ich nenn es schlicht Betrug.
Gummiknüppel, Love & Peace auf Fehmarn
Und am Sonntagmorgen bauten wir nen Schneemann
Außerdem war’n zweiunddreißig Boxen kaputt
Tausende kamen mit Shit und ließen zurück nur Schutt
Der Wind kam meist genau von Ost.
Die Nacht verbrachten wir erbost.
Übers Zelt stolperten Leute.
Hoffentlich regnet’s auch heute.
Das Wetter war, wie gesagt, großer Beschiß
Und meistens der Wind die Zelte zerriß.
Macht das OZ zum Lagerfeuer
Um 7 war’s nicht mehr geheuer,
Da flogen Flaschen, platzten Eier.
Was soll sonne Scheiß-Pseudo-Feier!
Die Rocker sollte man erschießen
Das Wetter ließ sich’s nicht verdrießen,
erst Regen, Sturm, dann Sturm und Regen
Die Rocker sollte man zersägen,
ersäufen die Veranstalter!
Noch Sonntagnachmittag kamen welche,
es wurden scheinbar immer mehr,
so cirka hundertfünfzig Elche,
die meisten stürzten sich ins Meer,
Schlagringe – und was für welche –
waren nicht zu übersehn.
Schön war’s, dann nach Haus zu gehn.
mani
Wolfgang Jensen
7. September 2015 um 12:21 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Ich meine, besser kann man die Stimmung und Atmosphäre von damals nicht auf den Punkt bringen. Toll!