Die Schlei
Wir wohnten in Kappeln ja nahe der Schlei. Wir hatten für den ganzen Sommer Freikarten für die Badeanstalt und haben im Wasser, auf dem Wasser und am Wasser uns nach Herzenslust austoben können. Wir hatten selbst weder Segelboot noch Ruderboot, die wurden von Freunden geliehen. Es soll passiert sein, daß Thies und Bernd, vielleicht auch Adolf, auf der Höhe der Schlei mit einem Ruderboot kenterten und um das Boot herumzappelten, um es wieder hoch zu kriegen. Das sah vom Ufer her der Bademeister, machte schnell ein Boot klar und rief einen Kollegen herbei. Ehe der kam, winkte er ihm ab und sagte nur: „Lat man, dat sünd de Rektor sin, de gaht nich ünner.“
Am meisten mit dem Wasser vertraut waren wohl Thies und Bernd. Hier trafen sie sich mit ihren Freunden und heckten allerlei Streiche aus. Welche Anziehungskraft hatte doch der Kappler Hafen mit seinen großen und kleinen Schiffen, den Fischerbooten und Motorbooten von Maasholm und dem Fischverkauf am Ufer direkt vom Boot aus. Wenn Thies von Nias zu Besuch hier weilte, versäumte er nie einen Besuch in Kappeln. Einmal „Kappeln rund“ und der Bummel am Hafen waren immer drin, und immer fanden sich noch alte Freunde, mit denen Thies gleich per „Du“ Wiedersehen feierte. Das Seefahrerblut der Ahnen steckte Thies besonders im Blut, und als Weltreisender hatte er gleich einen Kreis alter und junger Freunde um sich. Nur der letzte Besuch in Kappeln, von Lich aus, hat ihn bedrückt. Nur fremde Gesichter, keine der alten Freunde mehr am Leben. Und so bald, im Jahre 1978 folgte dann Thies auch.
Außer den vielen Freundschaften an der Schlei galt Thies‘ besondere Liebe unserem Großvater Thomsen, dem alten Seemann. Nach dem Tode unserer Großmutter Thomsen in Arnis kam Großvater zu uns nach Kappeln. Unsere Homa gab ihr eines Zimmer her, das Großvater nun bezog. Nun hatte unsere Familie außer Homa auch einen Großvater. Wie hat unser Vater sich gefreut, daß nun auch sein Vater bei uns sein Zuhause fand, genauso wie Mutters Mutter. Unsre Mutter hat mit Geduld und Liebe diese vermehrte Aufgabe übernommen, sie hat beide Alten bis zu ihrem Ende betreut, ich habe nie ein Wort der Klage von ihr gehört.
Das besagte Häuschen am Ende des Schulhofes barg außer dem Schweine- und Ziegenstall oben den Heuboden, der von innen und außen mit einer Leiter zu erreichen war. Der Heuboden war wichtig, denn es gab ja Heuernte bei uns! Es war allerdings eine kümmerliche; Gras, das uns als milde Gabe vom Rande dieser oder jener Koppel überlassen wurde. Die Jungs mähten und fuhren die Ernte auf einem Handwagen nach Haus, stapelten sie dann vorschriftsmäßig auf dem Boden, einer oben zum Verstauen der kostbaren Fracht, der andre vom Wagen mit einer Heugabel das Heu hinaufwerfend. Welch kostbares Winterfutter dies für unseren Viehbestand war. In demselben kleinen Häuschen waren übrigens sämtliche Toiletten untergebracht, an der Längsseite die für Schüler, an der Rückseite die für unsere Familie. Und daneben noch der Hühnerstall. Unser Klo war übrigens – trotz sonstiger Primitivität – ein Zweisitzer, ein kleiner Sitz war für Kinder. Den Weg dorthin über den Schulhof mußten wir alle machen, Große und Kleine, auch die Großeltern, solange sie noch gut zu Fuß waren. Für den Weg dorthin war ich meistens Homas Begleiterin und Thies der für Großvater. Wenn Thies mit Großvater abzog, geschah die Unterhaltung meistens in der Seemannssprache: Opa, nu en beten mehr backbord – Thies, nu aver mehr stüerbord.
Großvater hatte seinen Platz bei uns im Familienzimmer in der Ofenecke. Hier war es interessanter für ihn als in seinem Zimmer. Bis er dann abends sagte: nu mut ick man to Koje, Thies, bringst Du mi nu hen! Und die beiden zogen miteinander ab, über den großen Boden zu Großvaters Zimmer, to sin Koje. Übrigens hat sich Thies später in ihrem Haus in Lich in seinem Arbeitszimmer eine Schlafnische einbauen lassen, eine richtige Koje, in Erinnerung an seinen Großvater, und er ging auch dort „to Koje“.
4 Kommentare
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Heino Küster
7. Juni 2015 um 21:21 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Herrlich – so einen ‚Zweisitzer‘ kenne ich auch noch von früher – aber ich musste nie zu zweit hingehen! :mrgreen:
Wolfgang Jensen
8. Juni 2015 um 16:33 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Als ich noch bis 1961 auf der Schanze/Ecke Marktstraße wohnte, gab’s bei uns auch so einen „Zweisitzer“. Abends wurden die Behältnisse regelmäßig vom „Goldwagen“ abgeholt. Ich höre heute noch das Klappern der Pferdehufe und das Quietschen der Handbremse, wenn das Fuhrwerk (Firma Isaack) vor unserem Haus hielt.
Runa Borkenstein
9. Juni 2015 um 13:31 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
Auf dem Lande waren die Abläufe wohl etwas anders,
zumindest was den täglichen Abtransport des „Goldes“ angeht.
In den 1960er Jahren stand hinter dem Schulhaus in Karby ein Gebäude,
in dessen linker Hälfte sich die „Alten Schulklos“ befanden. Sie waren allerdings
schon außer Betrieb, die Tür aber unverschlossen:
Teil eines nicht öffentlichen Heimatmuseums sozusagen.
Drinnen waren 3(?) Plumpsklos/Holzkabinen, klare „Einsitzer“.
In meiner Erinnerung waren die Sitzflächen relativ hoch, also für Jugendliche und Erwachsene.
An runde Holzplatten zum Abdecken kann ich mich nicht erinnern,
aber an den Ausblick, den man durch den Sitz (das Sitzloch) hatte:
eine riesengroße Grube –über die Fläche aller Kabinen hinweg-
in der, ca. 2 Meter tief, unten dunkle Materie schimmerte.
Diese Materie muss schon so lange dort gewesen sein,
dass sie nicht mehr sonderlich stark roch.
(Gold stinkt ja auch nicht, oder wie sagt man? Aber es schimmert!
Wolfgangs „Goldwagen“ habe ich jedenfalls nie gesehen und gehört.)
Für uns Fast- und Jung-Teenies war diese Lokalität der ideale Ort, um heimlich zu rauchen.
Der Aufenthalt in dem Raum war natürlich verboten.
Also mussten wir immer schnell von der Ecke des Schulgebäudes
über den dazwischenliegenden Hof rennen. Das Schulklo lag nämlich genau
gegenüber der Wohnung des Schulleiters, der uns vom 1. Stock aus hätte sehen können.
Bei der Erinnerung daran höre ich immer noch den groben Kies knirschen;
dies wohl auch deshalb, weil unser Abenteuer bei einer solchen
Aktion endete: ich stürzte, brach mir den Arm
und ab dann hing ein Schloss vor der Tür!
Das passierte übrigens am 1. Tag der Schulübergangsprüfung zur KHS.
Das Diktat war also geschrieben.
Glück im Unglück: die beiden anderen Prüfungen wurden mir erlassen.
Regina Blätz
12. Juni 2015 um 09:12 (UTC 2) Link zu diesem Kommentar
;)