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Sep 17 2017

Sängerkrieg 1967

Vor 50 Jahren

1967 – Sängerkrieg

von Eckehard Tebbe

Irgendwann Ende 1967 wird im Deutschen Haus in Kappeln (Schmiedestraße 36) ein provinzieller ‚Sängerkrieg’ ausgelobt. Mit dem mittelalterlichen Vorbild von der Wartburg hat er natürlich überhaupt nichts zu tun, denn Minnedichter sind hier wahrlich nicht am Werk. Es geht schlicht darum, ein Live-Casting von Sangeskünstlern aus dem Raum Nordangeln/Nordschwansen durchzuführen, also ungefähr sowas wie KSDS, ‚Kappeln sucht den Superstar’. Es sind auch Superpreise ausgesetzt, 100 Mark für den Champion, 50 für die Silbermedaille, 20 für Bronze, 10 für Holz und 5 für Blech. Darunter möglicherweise noch ein Bier oder einen Lolli für die Loser. Keine Ahnung. Ermittelt werden soll die Rangfolge von keiner heute üblichen dumpfen Dieter-Jury, sondern vom gesamten Publikum. Das scheint mir damals mehr als fair. Jedenfalls beweise ich Mut und stelle mich der Herausforderung.

Zuhause blättere ich eifrig in meinem TK 19-Repertoire und fahnde nach für mich erfolgreich Singbarem. Es sind ca. 50 Titel, die ich mir zutrauen würde, poppige, soulige, balladeske, rockige, Surf und Beat, Hot & Sweet. Ich kann mich allerdings nicht recht entscheiden. Die Beatles oder Stones nachäffen? Nein, das wäre absolut verwegen. Das wird die Band im Rückraum auch kaum annehmbar schaffen. Mit sowas kannst du nur baden gehen. Es sollte vielleicht auch aktuell sein, also nicht aus dem angestaubten Back-Katalog der Musikhistorie. Damit fallen ‚Needles and pins’, ‚Tired of waiting for you’ und ‚Sheila’ schon mal raus. Schade, die hätte ich phänomenal drauf und würde sie sogar Dieter Bohlen, der brachialen Knalltüte, vortragen. Er würde vor Neid erblassen und mich umgehend für ein Modern Talking Revival oder als Blue System-Frontman ans Mikro bitten. Was natürlich unter meinem Niveau wäre und ich nicht mal für das Salär eines Bill Gates akzeptieren könnte. Ich schwöre …

Die Auswahl schrumpft und schrumpft. ‚Then I kissed her’ disqualifiziere ich, weil ich das textlich nicht mit aktuellem Herzblut anbieten kann, bei ‚Death of a clown’ treffe ich die Eunuchentöne leider doch nicht punktgenau, und während ‚The letter’ von den Box Tops werden die Jungs von der Technik den Sound landender Jets kaum einspielen können. Der gehört aber zwingend dazu.

Rowbottom Square - Single-Cover 1967Am Ende bleiben ‚Rowbottom Square’ von Barry Mason und ‚Sweet soul music’ von Arthur Conley. Die werde ich also ‚performen’ (schwachsinniges, überflüssiges Modewort), einen Thekensong und eine Soulhymne, was Weißes und was Schwarzes. Für jeden was.

Ich übe. Ich übe, bis mir ‚Rowbottom Square’ zu den Ohren rausquillt. Mir kommen dabei leichte Bedenken, ob dieser Wumtata-Gassenhauer nicht etwas zu banal ist. Möglicherweise ist doch Niveau gefragt. Wir befinden uns schließlich in Kappeln, der kulturbewussten Perle am Ufer der romantischen Schlei.
Von Take zu Take finde ich den Song schlechter.

Ich singe ihn dann auf Band, sogar im Overdub von einer Spur auf die andere, wobei die Qualität langsam aber sicher verwäscht und ein unerträglich mistiges Rauschen die Oberhand gewinnt. Jetzt ist Barry Mason fast verschwunden, aber meine Ersatzstimme klingt in dem Tonmüll wahrlich nicht besser. Naja, die Band bietet mir sicher ein akzeptables Playback, denn musikalisch müsste ‚Rowbottom Square’ simple Ware sein, Hossa-Level sozusagen. Also gut, jetzt hab ich den Song drauf. Es bleibt dabei.

Sweet Soul Music - Single-Cover 1967Die Auswahl von ‚Sweet soul music’ zeitigt noch kompliziertere Probleme. Wenn ich als weißer Milchreisbubi über die Crème der schwarzen Szene singe, Lou Rawls, Sam & Dave, Wilson Pickett, Otis Redding und James Brown, wird das nicht leicht vermessen wirken? Ist meine Stimme schwarz genug? Ist sie überhaupt schwarz? Wieviele Kippen muss ich rauchen, um auch nur annähernd das soulige Timbre von Arthur Conley zu erreichen? Mein Gott, ich hab die totale Klatsche. Wenn ich mich wenigstens schwarz bewegen könnte wie der Godfather, damals, auf der Bühne des Apollo-Theatres. Und dann die Auswahl passender Klamotten. Ja, Barry Masons Outfit wäre in etwa fittig anzulegen, aber ich kann doch nicht im Hemd und Sakko von Otto Normalverbraucher den schwitzenden Black Man aus Harlem geben. Da brauch ich doch mindestens den Purpurmantel von James Brown. Verdammt, die Sache ist verfahren. Möglicherweise habe ich mich übernommen … Ich habe eine leise Vorahnung, dass meine angestrebte Karriere gleich nach dem Start im Sande der nahen Ostsee verlaufen könnte.

Am Nachmittag des Contests startet die Generalprobe. Gerade mal ein Versuch pro Song ist gestattet. Wo Brian Wilson doch verzweifelte Monate an ‚Good vibrations’ gefeilt hat. Soll ich hier genialer sein als der Surf-Gott? Wenigstens ist die Band nicht schlecht, für diesen Breitengrad sogar optimal, wie ich finde. An der wirds nicht liegen, wenn hier jemand abstürzt. Aber es wird einer von den anderen Delinquenten sein. Ich doch nicht.

Ich bringe meinen Vortrag leidlich hinter mich. Den richtigen Groove habe ich wohl noch nicht, aber das wundert mich nur am Rande. Ist ja auch noch keine Audience da. Ihr werdet schon sehen … nachher, wenn die Massen sich dort unten drängeln. Sie werden ein unvergessliches Highlight erleben …
Sie erleben es.

Naja, nicht bei meinem Auftritt. Dieser Elvis-Verschnitt, der mir schon heute Nachmittag unangenehm aufgefallen ist, weil er einfach unverschämt gut ist mit seiner Fender vorm Sixpack, das sich deutlich unter seinem american Cotton abzeichnet. Er schwingt sie wie der King persönlich, beherrscht die Pelvis-Rotation und die drohende Miene, die du brauchst, wenn du singst …

Blue Suede Shoes - Single-Cover (1977)‚Well it’s a-one for the money,
two for the show,
three to get ready, now go, cat, go.
But don’t you step on
my blue suede shoes!
You can do anything but
lay off of my blue suede shoes!’*

Es ist dieser böse Blick, und er hat ihn. Er hat ihn wirklich. Der Typ muss auf Zehnerkarte nach Graceland gepilgert sein, am Altar des Rock and Roll geschnuppert, das Flair des Cell Block Number Nine inhaliert und den Ritterschlag von Sam Phillips persönlich erhalten haben. Guck dir diesen hängenden Mundwinkel an, das schimmernde Gel, das ein grober Kamm in die Matte gefurcht hat. Alles original, Mann. Wie könntest du mit deinem geraden Scheitel gegen dieses goldene Kalb bestehen? Wie erbärmlich war dein eigener Auftritt. Du hast zwei gleiche Strophen bei ‚Sweet soul music’ gesungen, die Lyrics von ‚Rowbottom Square’ sowieso versaut und die Band schon beim ersten Ton mit leichter Einsatzverzögerung verunsichert. Ey, du warst grotten-schlecht. Versager! Von wegen Leistungsexplosion vor Publikum. Das war unterste Etage, Rock Bottom. Du bist der New Kid under the Block.

Aber wir haben ja alle mal im Keller gewohnt … Warum also mit dem Schicksal hadern, weil es dir die Chance auf den ultimativen Durchbruch versagt.

Ich verkrafte den Sturz vom Sockel, als sie mir einen Heiermann in die schweißige Pranke drücken. Ich bin Fünfter geworden. Dem Mitleid einer Handvoll getreuer Supporter aus der Schule sei ewiger Dank gezollt. Ohne euch, Jungs, vielleicht auch Girls, wäre ich im Erdboden versunken, nur noch widerstrebend über die Schwelle der Klaus-Harms-Schule gekrochen und hätte die Bühne in Zukunft ehrfürchtig gemieden. Aber mit so einem lächerlichen kleinen Lappen in der Hand strahlst du dann doch wie Fleisch gewordene Aurora Borealis …

Words - Single-Cover 1968P.S.
Second Chance auch versiebt.

Ein ähnliches Desaster folgt später auf einer Schulveranstaltung im Strandhotel. An der Band liegt es wiederum nicht, als ich mit Jörg – ob er das noch weiß? – zusammen ‚Words’ von den Bee Gees ziemlich grenzwertig – nein, ‚suboptimal’ heißt das ja jetzt – vortrage. Textlich ist diesmal nichts einzuwenden, doch unser lieber Musiklehrer meint hinterher im Vorübergehen: „Halber Ton zu tief, Freunde.“ Aber hat Köhl wirklich Ahnung? Der progressivste Titel, den er im Unterricht je aus dem Hut zaubert, ist Caterina Valente mit ‚Ganz Paris träumt von der Liebe’ …

Die von Youtube eingeblendeten Nachrichten und Werbebanner lassen sich wegklicken.

Barry Mason – Rowbottom Square

Arthur Conley – Sweet Soul Music

The Bee Gees – Words

Elvis Presley – Blue Suede Shoes

1 Kommentar

  1. Wolfgang Jensen

    Vielen Dank mal wieder für diese Zeitreise, Eckehard. An diesen „Sängerkrieg“ kann ich mich noch gut erinnern. Ich wollte damals mit Jürgen D. dorthin, aber irgendwas kam dann doch dazwischen.

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