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Okt 12 2012

50 Jahre Polio-Schluckimpfung

Wie ich gerade lese, eroberten heute vor genau 50 Jahren Vater Ben Cartwright und seine ungleichen Söhne Hoss, Adam und Little Joe mit der Kultserie „Bonanza“ die deutschen Wohnzimmer. Überhaupt war 1962 ein bemerkenswertes Jahr und so blicken wir in diesen Monaten zurück auf 50 Jahre James Bond, 50 Jahre SPIEGEL-Affäre, 50 Jahre Rolling Stones, 50 Jahre Detlev Buck bigsmile und und und …

Ein Jubiläum ist in diesem Jahr leider etwas untergegangen. Vor 50 Jahren nämlich, im Februar 1962, wurde in der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend die Schluckimpfung gegen Poliomyelitis eingeführt, Polio-Schluckimpfung 1962begleitet von einer drastischen Werbekampagne, die einige von uns bereits Betroffenen stärker zu traumatisieren und stigmatisieren drohte als die – zum Teil gerade erst überstandene – Krankheit selbst:

Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist grausam

Dafür ist die Erfolgsgeschichte des neuen Impfstoffes umso grandioser: durch konsequente Impfmaßnahmen wurde die Verbreitung einer der großen Volkskrankheiten drastisch eingedämmt und dreißig Jahre nach der Einführung der Schluckimpfung war Polio in Deutschland praktisch ausgerottet, was nach dem Willen der WHO in den nächsten Jahrzehnten auch weltweit erreicht werden soll.

Zwar war die Impfung nicht ganz ohne Risiko, da es sich um einen Lebendimpfstoff handelte, der in seltenen Fällen selbst erst zum Ausbruch der Krankheit führte, aber die erhobenen Zahlen aufgrund der TV-Werbung 60er-Jahredamaligen gesetzlichen Meldepflichten belegen die Effektivität des neuen Mittels. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen in der Bundesrepublik ging von 5673 im Jahr 1961 auf 54 im Jahr 1964 zurück. Die DDR, wo diese Form der Polio-Impfung bereits 1960 eingeführt worden war, meldete bereits 1961 die Republik „frei von Polio“.

Dem größten Teil der Bevölkerung (Ärzte eingeschlossen), ist diese Krankheit heute gar nicht mehr geläufig, wie ich immer wieder feststellen muss.

Die erste Polio-Schluckimpfung in der Klaus-Harms-Schule fand übrigens am 9. Mai 1962, also sehr zeitnah nach deren Einführung, statt – für mich trotzdem genau 19 Monate zu spät.

Impfbescheinigung meines Vaters von 1962

1 Kommentar

  1. Rolf Nagel

    Ja, ich kann mich gut an die allgemeine Aufregung erinnern ….., an die großen Ängste von Eltern und Kindern…, an die Zuckerstückchen mit dem „aufgetropften“ Impfstoff, die damals in den Impfaktionen an den Schulen verabreicht wurden….Sogar noch daran, das die in Kappeln betroffenen Kinder mit einer Mischung, die wohl aus Furcht , Angst , Scheu und Mitleid bestand angesehen wurden…. Genau da setzen Deine Stichworte „Traumatisierung“ und „Stigmatisierung“ ein, Achim, die auch für mich persönlich bedeutsam waren und z.T bis heute geblieben sind. Erst Jahre später – nach der Kindheit und Jugend – füllten sich diese Bezeichnungen mit theoretischen Hintergründen während meines FH-Studiums. Ein zentrales Lehrbuch zu dem Thema war damals , ein Werk des Amerikaners Irving GOFFMAN, das ich noch heute in seiner ganz speziellen Art für unübertroffen halte. Es hatte den Titel : „Stigma, Über die Bewältigung beschädigter Identität“. Für mich , als seit früher Jugend selbst von „Behinderung“ ( Sinnesschädigung mit der Folge des Hörverlustes) betroffener Mensch , war diese Thematik etwas, das mich seither nie mehr losgelassen hat. Natürlich auch, weil die Folgen einer „Behinderung“ mehr oder weniger lebenslänglich wirksam bleiben und das Leben selbst in andere Bahnen bringen (können).

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