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Mrz 19 2012

Eine Stadt sucht ihre Identität

Kappeln

Identität – für wen?

Ich erinnere mich gut an die ersten großen stadtplanerischen Neuerungen Mitte der 1960er-Jahre. Zuerst kam der Großparkplatz an der Wassermühlenstraße, dann der Innenstadtparkplatz Querstraße/Ecke Mühlenstraße, später wurde die Fußgängerzone mit Beton-Auslegeware „verpflastert“.

Immer wurde dabei die „Stadtplanung“ fast ausschließlich von den Geschäftsinteressen der wenigen größeren Kappelner Kaufleute bestimmt. Sie waren es, die in den Vereinen und Gremien das Sagen hatten, sie vergaben die Planungsaufträge und sie entschieden darüber, was dann schließlich (doch nicht) umgesetzt wurde.

Niemals orientierte sich die Planung und (zweifellos notwendige) Erneuerung der Stadt an den Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner. Nach dem zuerst schleichenden und dann immer rasanteren wirtschaftlichen Niedergang setzte man nur noch auf eine Karte: Tourismus.

Die wenigen noch verbliebenen „Perlen“ wurden aufwendig restauriert und die Straßen wieder mit Naturstein gepflastert. Das brachte natürlich auch den Einheimischen ein Stück Identität zurück. Aber ein großer Teil davon war inzwischen unwiederbringlich verloren! Und das, was noch da war, wurde weiterhin unsensibel und geschmacklos „modernisiert“ und „begradigt“.

Nur ein Gedanke konnte sich niemals durchsetzen: die Erhaltung von Bausubstanz, Häusern und Winkeln um ihrer selbst willen. Das war zu teuer. Die Stadt hatte ohnehin kein Geld und die Fördervereine förderten nur das, was sie selbst förderte. Jedenfalls war das ihre Intention.

Aber jetzt gibt es endlich einen Lichtblick!? Heute lese ich im Schlei-Boten, dass man nun an einem „Gesamtkonzept“ arbeitet, dem eine „systematische Umgestaltung der Innenstadt“ folgen soll. „Uns fehlt eine klare Identität“, stellt der Vorsitzende des WPK (Wirtschaftskreises Pro Kappeln) fest. Identität ist wichtig. Jede Kapplerin und jeder Kappler fühlt sich wohler, wenn sie/er sich mit ihrer/seiner Stadt identifizieren kann. Ein sinnvoller Ansatz also für eine zukunftsorientierte Planung. Aber wen meint der WPK eigentlich mit „uns“? Meint er sich selbst, die Wirtschaft allgemein oder etwa gar die Bürgerinnen und Bürger? Letzteres sicher nicht.

Es geht darum, Kappeln touristisch „attraktiv und konkurrenzfähig zu machen“. Kappelns ureigene Identität, die Straßen, Gebäude und besonders die Menschen und ihre vielfältigen Aktivitäten sind nicht gemeint. Wieder einmal geht es nicht um Erhaltung, sondern um etwas Neues. Eine neue Identität, geschaffen von professionellen Projektplanern für die Touristen: „Nur mit dem schönen Aushängeschild Deekelsen werden wir nicht überleben.“

Und wie soll die neue Identität aussehen? „Warum gibt es zehn verschiedene Lampentypen in der Stadt?“ „Dort kleine gemütliche Sprossenfenster, dort große Schaufenster.“ Und was von beiden soll dann bitte „angepasst“ werden? Gott liebt die Vielfalt, ich auch!

Das ganze Thema ist einfach nur ein jahrzehntelanges Ärgernis. Vielleicht sollte mir das als „Exil“-Kappler viel gleichgültiger sein, aber ich bin gerade dabei, mir (und ein paar „Mitreisenden“) ein Stückchen alte Identität zu bewahren.

Was auch immer bei dem neuen Projekt – außer bereits angekündigten „Komplikationen und Baustellen“ – herauskommt, eines ist ganz sicher: das Licht am Ende des stadtplanerischen Tunnels ist noch lange nicht in Sicht!


10. Mai 2012

Die „Vision Kappeln“ nimmt Konturen an –
oder eher doch nicht?!

Der Wirtschaftskreis Pro Kappeln (WPK) fragt: „Welcher Kern soll Kappeln künftig auszeichnen? Maritim, Historie, Gesundheit, Tourismus?“ „Gleichwohl könnten auch weitere Aspekte wie Barrierefreiheit, Ökologie, Wohnzufriedenheit, Architektur, Einzelhandel eine Rolle spielen.“ Der Vorstand appelliert eindringlich an seine Mitglieder, sich an dem Umgestaltungsprozess zu beteiligen.

Das Architektenbüro hat erste „Gedankensplitter“ produziert, die „die im besten Falle Grundlage einer systematischen Umgestaltung sein sollen“: „Extrem unterschiedliche Fassadengestaltung. Keine klaren Raumkonturen. Gestalterische Brüche.“

Ich erspare mir diesmal meinen Kommemtar und verweise auf den heutigen Artikel im Schlei-Boten.

4 Kommentare

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  1. Jörg Häusler

    Der Satz : „Niemals orientierte sich die Planung und (zweifellos notwendige) Erneuerung der Stadt an den Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner“ hat mich bewogen, mich als auswärtigen Bürger aus der Lüneburger Heide, der aber immer sehr gerne Oma u. Opa in Kappeln besucht hat ( hauptsächlich 70er u. 80er jahre) , mal zu melden: Denn ich kann diesem Satz nur voll zustimmen. Ich erinnere mich noch genau, wie meine Oma über den Abriss von 2 Häusern , die der Sparkasse weichen mussten ( Schmiedestr ? ), aufgeregt hat.
    Diese „moderne“ Sparkasse ist inzwischen von der Mode überholt und einfach hässlich. Aber so ist es mit modernen Dingen: heute in, morgen out.
    Warum lässt man nicht sich das alte behutsam entwickeln, sondern will immer alles neu , modern u. einheitlich haben.
    Hier in meiner Stadt Uelzen gibt es ganze „Neu“ bauviertel aus den 70-80er Jahren, die mussten rote Steine, rote Fugen, Flachdach und weiße Flachdachblenden haben. Grottenhässlich. Da hätte man lieber jeden fast so bauen lassen sollen wie er wollte.
    Deshalb: Kappeln soll sich ruhig weiter entwickeln, aber nicht einheitlich per ordre Mufti entwickelt werden.
    Die Vielfalt macht die Attraktivität aus .
    Mit einheitlichen Fenstern und Lampen wird kein Tourist gewonnen
    P.S. Ich fahre immer noch sehr gerne nach Kappeln zum urlauben

    1. admin

      Die Gebäude, die der Sparkasse weichen mussten, waren das alte Kappelner Rathaus und der „Alte Ratskrug“.

  2. Rolf Nagel

    Auch ich – seit 1968/69 nicht mehr in Kappeln lebend – glaube, das der „Tunnel“ noch eine ganze Weile durchfahren werden muss, bevor – wenn überhaupt – „Licht auftaucht“! Und die weitere Frage wäre für mich die, auf welche „Realität“ dieses „Licht“ dann scheinen wird..? – Das immer etwas „Neues“ gefordert und umgesetzt wird, das „Alte“ – vermeintlich Rückständige – dabei regelmäßig unter die Räder gerät, das zeigt sich für mich überdeutlich, wenn ich in großen Zeitabständen ‚mal wieder durch Kappeln laufe…Dafür waren auch aus meiner Sicht jeweils die Interessen einer kleinen, aber einflussreichen Gruppe sogenannter „Honoratioren“ und Geschäftsleute verantwortlich. Mit dem Abriss des „Alten Ratskruges“ fing es an, mit dem Abriß des Wasserturmes ging es weiter ; nicht zu vergessen der damalige Bau des „Strandhotels“ …., dessen Baukörper dann später nochmals unsäglich verhunzt wurde, um Wohnungen zu schaffen. – Und nun scheint ein weiteres Kapitel zu beginnen. Allerdings und „Gott sei Dank“ fehlt mittlerweile weitgehend das Geld für neue „Experimente“. – Ich denke aber auch, das jede neue Generation von Kappeln Bewohnern auch jeweils ihre eigene „Kappeln-Bindung und Identität entwickelt. Die meine ist natürlich geprägt von den Jahren der Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren..

  3. Manfred Rakoschek

    ohauahauaha,
    das licht am ende des tunnels kann die entgegenkommende lokomotive der kettenliebenden, womöglich kettenrauchenden kreditbedürftigen sein?

    jammerjammer, mir fehlen die bilder des 50er- und 60er-jahre kappelns, als ich mit einer kerzenruß-beschichteten glasscheibe meine erste sonnenfinsternis besah.

    wo sind die bilder oder gar negative aus dieser zeit, als von der ddr festgehaltene kappler fischerbote die erste seite der bildzeitung zierten, photo guth lieferte . . .

    habt ihr noch alte neger-tiefe in 6×6 von euren eltern?
    bitte melden !
    mani

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