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Aug 03 2012

The Equals

Kappeln

Vieles von dem, was ich im Schulzeitreisen-Urlaub vorhatte, habe ich natürlich nicht geschafft, aber zumindest um eine Sache, die mir sehr am Herzen lag, habe ich mich gekümmert:

Vor einigen Wochen erfuhr ich von meinem Schulkameraden Eckehard Tebbe, dass er 2011 damit begonnen hat, einige seiner prägenden Erinnerungen unter dem Motto „Soundtrack of my life“ aufzuschreiben.

Ich erinnere mich anhand von Musiktiteln an so manche Begebenheit aus meinem langen Leben, weil es einfach etwas crazy und freakig war. Als irrer Fan der Rockmusik muss man sowas ja einfach mal für die Familie festhalten.

Muss man! Unbedingt! Aber wieso „für die Familie“? Nur weil er inzwischen frischgebackener Opa ist? Nein, nein, nein! Das, was Eckehard mir an Auszügen geschickt hat, durfte keineswegs seiner persönlichen Nachwelt vorbehalten bleiben. Solange wir noch da sind, sind erst einmal wir selbst die Nachwelt der Ereignisse, die er uns so hautnah zu beschreiben weiß.

Deshalb hat er zugestimmt, dass ich einige Episoden, die uns irgendwie alle betreffen, in den Schulzeitreisen veröffentlichen darf. Dafür bin ich sehr dankbar und wünsche allen Leserinnen und Lesern viel Spaß!

Whisky mit den Equals

von Eckehard Tebbe

Das Deutsche Haus in Kappeln wird Mitte der Sechziger zu einer veritablen Hochburg der aktuellen Musikszene. Ich komme jeden Schultag hier vorbei, wenn ich mittags durch die Schmiedestraße zum ZOB trotte, mir am Kiosk ein Bounty kaufe und schließlich meinen Bus besteige. Das Plakat, auf dem Ricky Shayne angekündigt wird, entgeht mir daher nicht. Ricky Shayne - Ich sprenge alle Ketten (1967)Ricky Shayne. Ihr werdet ihn kennen. Etwa doch nicht? Glaubt mir, er ist damals der absolute Bringer, besonders bei den machoverliebten Girls auf unserem Machoplaneten. Dieser unübersehbare Mix aus Libanon, Frankreich und Italien mit scheunentorweit geöffnetem Hemd und hervorquellender Matte aus Brusthaaren, das hat schon was. Dazu dieses kaum zu bändigende Haupthaar, das bestimmt gerade hinter der Bühne von 27 Groupies durchgewuschelt wurde. Und Rickys Blick sagt deutlich: „Ladies, hier bin ich. Kommt näher, reißt mir das Zeug vom Leib. Ich sprenge alle Ketten für euch.“ Er singt sowas mit Inbrunst und der Energie eines Rumpelstilzchens. Ricky hat Klasse, das gebe ich neidlos anerkennend zu. Auch seine Begleitband, die Bentox, kommt gut bei mir an. Sie stammen aus Erlangen. Auf Rickys Tournee durch die nördliche Pampa beweisen sie, dass es neben den Beach Birds auch noch andere coole Combos gibt. Natürlich stoßen sie unsere Lokalmatadoren nicht gleich vom Thron, aber … alle Achtung, Jungs, ihr werdet es noch weit bringen. Wie ich später erfahre, sogar bis Vietnam, wo ihr Uncle Sams schon irritierten Truppen manch aufbauendes Ständchen bringt…

Und dann sind die Equals da. Wir schreiben den 21. Januar 1968. Für unsere Metropole am Schleiufer, die damals außer Heringszaun, Drehbrücke und Hadenfelds wunderbarer Mühle nicht allzuviel an Sensationen zu bieten hat, sollte dieser Tag als historisches Datum im Kalender fettrot markiert werden.

Der Saal brodelt schon vor dem Auftritt. Unerträgliche Spannung hat sich ausgebreitet. Biergläser zittern in Händen, und vor der Bühne herrscht neben Raum- auch Atemnot. Du kannst die Luft schneiden, aber das muss so sein. Kommt endlich raus, Jungs, gebt uns den Beat. Ihr seid die Missionare aus der Karibik, auf die wir schon so lange warten. Die Weiß und Schwarz so friedlich vereinen, ebony and ivory in perfect harmony. Beglückt uns, gebts uns.

Der Vorhang öffnet sich, und die unvergleichliche Soundorgie nimmt ihren erwarteten Lauf. Bigge, der Wirt vom ZOB (Gott hab ihn selig), der neben mir steht, wird kreidebleich vor Aufregung. Was für ein herrlicher Lärm. Eddy und Lincoln peitschen erbarmungslos die Saiten, Pat zupft rhythmisch wippend den Bass, John sitzt prügelnd hinter der Schießbude und Derv quält seine Stimmbänder aufs Äußerste.The Equals - I Won't Be There (1967) I won’t be there bildet den Auftakt des Gigs. Ihr erster Hit, nur in Deutschland, kraftvoll, stampfend, treibend. Es hätte der internationale Durchbruch sein müssen, wo die Pirate Stations doch massig Airplay gegeben haben. Ihr armselig Kurzsichtigen im Rest der Welt, wie konntet ihr dieses gleißende Juwel übersehen. Aber das Feuerwerk geht weiter: Hey baby it’s time you got going, Fire, Hold me closer, Giddy-up a ding dong und das grandiose Police on my back. Jungs, worüber wundert ihr euch? Bei dem Fass, das ihr hier aufmacht und dem Radau, der wahrscheinlich bis ins Wikingerreich dringt, wird euch sicher mancher Ignorant genüsslich die Polizei aufs Fell hetzen. WirThe Equals - Baby, Come Back (1967) aber sind begeistert und rasten total aus. Ihr seid das Salz in der Suppe, unequalled. Und dann kommt Baby come back und macht uns endgültig platt. Ein Beben durchläuft die Menge im Saal. Wer jetzt noch irgendwo auf dem Schemel hockt, der muss sterbenskrank sein. Das ist die Disco-hymne schlechthin. Du wirst zum frühen Travoltaverschnitt und willst die Leute neben dir zur Seite drängen, dich freischaufeln, damit du Platz fürs Tanzbein kriegst. Aber du müsstest die nackte Gewalt anwenden, denn jeder hat hier das gleiche Bedürfnis. Es würde zum Pogo ausarten, zum brutalen Slamdancing, das nur blaue Knochen zur Folge hätte. Bleib in der Sardinendose und genieß das Spektakel.

Irgendwann ist es zuende. Viel zu früh, trotz Zugabe.

Dann aber geschieht das Unerwartete. Bigge lädt mich zu einem Bier ein und wir gehen an die Theke nebenan. Nach ein paar Minuten stehen plötzlich vier Equals neben uns: Derv, Pat, Lincoln und John, ebenfalls durstig. Eddy ist nicht dabei. Hat sich wohl zu sehr bei der Irrsinnsshow verausgabt oder auch ein williges einheimisches Groupie hinter der Bühne aufgetan. Sowas solls auch in Kappeln geben.

Ich fass es nicht. Mir kommt eine grandiose Idee, dieser Funke, den du leider zu selten im Brägen hast, der sich entzündet und 1000 kreative Ideen freisetzt. Boom! Ich will gerade Derv ansprechen, als Bigge meint, dass wir doch alle zusammen einen Whisky trinken sollten.

Die Equals nicken ihr Okay, und der Keeper gießt umgehend ein. Wir stoßen an. Endlich komme ich jetzt zum Zug, in bestem Schulenglisch: „Well, guys, could ya please tell me some things ’bout ya. The Equals - Derve | Lincoln | Johnny | Pat) - Autogramm (1968)Ya know, I’m member of the editorial staff of our school magazine, the Rotstift. In English it must be something like red pencil or crayon. Be so nice and give me an interview, won’t ya?“ Bigge guckt mich schräg an. Seine Augen fragen mich: ‚Bist du jetzt total beknackt, oder was?’ Ich lasse mich aber nicht abwürgen. Ich muss das jetzt zuende bringen. Derv lächelt mich an: „Okay, boy, okay.“ Wir setzen uns an den nächsten Tisch, und ich frage nach jedem noch so winzigen Detail, das irgendjemanden entfernt interessieren könnte. Ich laufe regelrecht heiß. Endlich hast du mal die Chance, dein Englisch Gewinn bringend anwenden zu können.

Nach zwanzig Minuten ist das Interview im Sack. Stichpunkte stehen auf dem Kellnerblock, den ich mir am Tresen geholt habe. Darauf kritzeln mir die vier anwesenden Equals ihre Autogramme. Jetzt will ichs ganz gründlich wissen: „And how ’bout Eddy? I’d like one of him, too?“ The Equals - Eddy Grant - Autogramm (1968)Eigentlich erwarte ich ja nicht, dass ich auch den Erfolg noch in die Tasche kriege, aber Pat steht tatsächlich auf, nimmt sich den Kellnerblock und verschwindet aus der Tür. Nach fünf Minuten ist er zurück und reicht mir grinsend den Block: „Okay?“ „Okay, man. Thanx.“  

Dann erheben sie sich und verabschieden sich freundlich. Bigge bezahlt. Mein Gott, was war das denn jetzt? Ich habe fast eine halbe Stunde mit den Equals gelabert, ihnen hochqualifizierte Fragen gestellt, Autogramme von ihnen bekommen, sogar noch eins von Eddy. Ich muss das Ende des Regenbogens gefunden haben. Jetzt kann ich damit prahlen, einmal mit den Equals gesoffen zu haben. I get so excited.

Das Interview hat Eckehard übrigens nie dem ROTSTIFT angeboten, was er in seinen Aufzeichnungen bedauert. Dazu besteht allerdings kein Grund, denn witzigerweise war an diesem Abend tatsächlich „echte“ members of the editorial staff zugegen – was Eckehard natürlich nicht wusste. Das führte rückblickend zu der kuriosen Situation, dass – nachdem Eckehards Interview-Aufzeichnungen inzwischen verschollen sind – trotzdem ein offizieller Rotstift-Artikel existiert, den ich hier gern ergänzend anfüge.

Ich frage mich wirklich, wann die die Jungs interviewt haben. Das kann doch eigentlich nur nach uns gewesen sein, denn die hätten mir doch sonst kein Wort mehr gegönnt. Wenn ich da als Typ um ein zweites Interview für den Rotstift gebeten hätte, würden die mich doch zum Teufel geschickt haben. So ein paar nette Mädchen allerdings haben da natürlich ganz andere Chancen. Oder die Equals haben gar nicht geschnallt, dass es sich um ein Interview für das gleiche kleine Schülerblatt gehandelt hat. Ist schon zum Lachen. Mein Gott, was für ein Jahrhundertevent. 

 The Unequalled Equals

aus ROTSTIFT Nr. 17 (März 1968)

Kappeln - The Equals (ROTSTIFT Nr. 17/1968)»Am 21.1.1968 waren zum Erstaunen vieler die Equals, eine englische Show-Band, in Kappelns Beat-Center, dem Deutschen Haus, zu Gast.

Mit einer fast 2-stündigen Verspätung trafen sie endlich ein und fanden Fans vor, die dichtgedrängt, auf Tischen und Stühlen stehend, ungeduldig die Show erwarteten. Alles war gespannt und unruhig geworden, man schrie und pfiff und fragte sich immer wieder, ob die Equals überhaupt noch kämen.

Endlich öffnete sich er Vorhang! Die Equals fingen mit ihrer sagenhaften Schau an, indem sie die Fans anfeuerten, ganz laut „Yeah!“ zu schreien, aber sie antworteten mehrmals mit: „Nix gut, nix gut!“ Als es ihnen schließlich recht war, legten sie los. Jeder Song, sei es „Police on my back“, „Midnight hour“, „Hold me closer“ oder Kappeln - The Equals (ROTSTIFT Nr. 17/1968)„Baby, come back“ steigerte die Stimmung des Publikums. Untermalt wurde das Ganze von wilden Gitarrensolos und akrobatischen Verrenkungen.

Eddy spielte sogar mit dem Körperteil Gitarre, auf dem man normalerweise zu sitzen pflegt.

Zu unserer großen Überraschung durften wir die Equals nach ihrem Auftritt interviewen. Auf Grund ihrer Erschöpfung fielen die Antworten recht knapp aus:

Die Equals fanden sich vor fünf Jahren in London zusammen. Für den Namen Equals haben sie sich entschieden, weil sie keinen „Leader“ haben und damit alle gleichwertige Mitglieder sind. Wir fragten sie, ob sie in England bekannter seien als in Deutschland. Ihrer Meinung nach sind sie in beiden Ländern gleich gut (oder schlecht) bekannt.

Die Equals essen, wie sie einstimmig erklärten, am liebsten Spiegeleier und pommes frites (davon konnten wir uns persönlich überzeugen) und trinken dazu deutsches Bier, das ihnen übrigens außer den deutschen Mädchen (natürlich!) am besten gefällt.

Ihre Lieblingsbeschäftigungen sind, neue Songs zu schreiben, ihre ausgefallene, bunte Bühnenkleidung zu entwerfen und Platten ihrer Lieblingsband, den Beatles, zu hören.

Auf die Frage, wie sie gerade in unsere kleine Stadt kämen, antworteten sie:
„We try to play everwhere, where we get money, of course, and where our fans asked for us.“

Dieser Tatsache verdanken wir also, daß die Equals auch bei uns in Kappeln auftraten.

Ingedore Flüh | Renate Lammers | UII s«

1 Kommentar

  1. Heino Küster

    Hut ab!!!
    Ein Super Artikel, Achim, bitte mehr davon!
    Gruß unbekannter Weise an Eckehard, wirklich klasse geschrieben.
    Die Latte liegt jetzt hoch für weitere Artikel der Mitreisenden.
    LG
    Heino

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