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Mai 01 2022

Bilderrätsel Nr. 646 – Arztbrief

Für die Reststrecke unserer Reise habe ich noch ein paar tolle historische Kappelner Fundstücke anzubieten.

Bilderrätsel Nr. 646

Ich liebe solche alten Dokumente. Man kann sich da so schön reinspinnen.

Noch besser, wenn der Inhalt nicht nur zu erahnen ist und dann auch noch das Siegel beim Öffnen verschont wurde.

Frage: Welche Institution hat diesen Brief 1863 verschickt und worum geht es?

Gesundheitsamt in Kappeln

Amtsärztlicher Befund

Bilderrätsel Nr. 646

Bilderrätsel Nr. 646

Bilderrätsel Nr. 646

Die Fragestellung war genauso problematisch wie die Beantwortung.

Die von mir erwartete Antwort bezüglich der Institution war jedenfalls nicht einfach das im Siegel überdeutlich zu erkennende

Königliche Physicat zu Cappeln

Was war das denn nun für eine Institution?

Physicate oder Physikate waren damals die örtlichen Gesundheitsämter, zumeist mit einem Medizinalrat als Amtsarzt. In Städten mit eigenen psychiatrischen Anstalten oblag diesem häufig auch deren Leitung.

Was den Inhalt des Schreibens betrifft, wurde von Heino Küster, Maren Sievers, Hans-Werner Panthel und Konrad Reinhardt erkannt, dass es sich um eine ärztliche Begutachtung zwecks stationärer Unterbringung handelt.

Ich habe das Rätsel natürlich nicht einfach reingestellt, ohne zunächst selbst zu versuchen, die Zusammenhänge zu ergründen und den Text zu entziffern oder zumindest zu deuten.

Der obere Briefumschlag hat übrigens mit dem Rätsel nicht direkt etwas zu tun. Er trägt eine andere Adresse, stammt von einem anderen Absender (Handschrift- und Siegelvergleich) und ist zehn Jahre älter.

Und obwohl es in dem „Rätsel“-Schreiben ebenfalls um die Irrenanstalt geht, ist es nicht direkt an diese adressiert, sondern an das Königliche Gottorfer Amts…

… da verließen sie mich und ich hatte gehofft, dass gerade in diesem Punkt jemand von euch den Adressaten entziffert.

Beim Text war ich etwas erfolgreicher, aber leider gibt es da immer noch Riesenlücken:

Auf das geehrte Schreiben der Königlichen Gottorfer Amts… vom 29. d. M., betreffend die zweifelhafte Gemütsverfaßung des Schneiders Peter Heinrich Jarpsen, zur Zeit in Ulsnis, …
am gestrigen Tage stattgehabten Untersuchung insgesamt zu bemerken:
Der Betreffende, 23 Jahr alt, von …,
ist unzweifelhaft mit krankhaftem/r … behaftet …,
… Unterbringung in die Irrenanstalt, zu Gunsten der Heilung,
erforderlich erscheinen läßt, und dürfte auch mit Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit,
… die Angaben über …
eine … notwendig …
bestätigen … da er sich zur Zeit der Untersuchung nicht in einem solchen befand.

Königl. Kappeler Physikat, 6. Mai 1863

9 Kommentare

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  1. Hans-Werner Panthel

    Ich habe mit mir gerungen, weil es zu doch persönlich sein könnte, Aber dieses Bilderrätsel erinnert mich an Begebenheiten mit der späteren Folgeinstitution Landeskrankenhaus.
    In meiner früheren Jugend musste ich jährlich, zusätzlich zu Fachärzten, im Kappelner Krankenhaus von einem Außendienst des Kreisgesundheitsamts begutachtet werden. Permanent und nachdrücklich wurde die stationäre Aufnahme zum Landeskrankenhaus angeraten. Es wurde mit angenehmen Worten wie ein Internat mit optimaler gesundheitlichen Betreuung und Förderung beschrieben. Mein Eltern haben sich dankenswerterweise und zum großen Glück dagegen wehren können.
    Vor ein paar Jahren habe ich bei einer zweitägigen Veranstaltung im Landtag zur Aufarbeitung von Leid und Unrecht Erschütterndes hören können, was in den 50er, 60er und auch 70er Jahren dort passiert war.
    Links findet man dazu, z. B. bei Schleswig-Holstein(de). Auch das Buch von Günter Wulf, ein Betroffener, ist bemerkenswert.
    Auch wenn die Schulzeitreisen bald zu Ende gehen, manches ist noch nicht auserzählt.

    1. admin

      Lieber Hans-Werner,
      deine Ausführungen haben mich sehr berührt.
      Ich habe nicht nur die in den letzten Jahren vermehrt aufgedeckten Fakten über die damaligen Verhältnisse in psychiatrischen Landeskrankenhäusern einschließlich der geheimen Medikamentenversuche an den schutz- und wehrlosen Probanden verfolgt, sondern mich schon vor über vierzig Jahren eingehend mit dem medizinischen Missbrauch von psychisch Kranken und körperlich behinderten Menschen im Dritten Reich beschäftigt.
      Es war verheerend und mir war klar, dass ich unter den damaligen Bedingen wohl kaum mein 12. Lebensjahr erreicht hätte.
      Nachdem ich seit 1984 am Computer „hänge“, hat mich die öffentliche Freigabe des Internets vor 29 Jahren natürlich schwer fasziniert und ich hatte schon 1995 einen eigenen Anschluss – war damals gar nicht so einfach…
      Ich habe dann über dieses neue Medium auch versucht, mir Einblick in die Dissertationen (mir z. T. persönlich) bekannter ärztlicher Koryphäen zu verschaffen, und einiges entdeckt, mit dem ich seit der Lektüre von Ernst Klees* Buch »„Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“« bereits gerechnet hatte. Die hatten ihre Doktorarbeiten ja fast alle zu NS-Zeiten verfasst. Meine Erkenntnis war schon damals, dass die alten Chefs auch danach noch persönlich oder durch ihre systemimmanent geformten Schüler immer noch das ganze verkorkste System fest im Griff hatten und es andererseits noch relativ einfach war, „unerwünschte“ Personen in deren Obhut zu befördern. Weiter werde ich das hier nicht ausführen.
      Ich gratuliere dir jedenfalls, dass du dem Ganzen dank der Unterstützung deiner starken Eltern unbeschadet entronnen bist.
      Mit und an mir waren ja nach meiner überstandenen Kinderlähmung 1961 auch einige „Experimente“ und Eingriffe geplant, gegen die ich mich mit aller Macht gewehrt habe, aber auch ich konnte das natürlich nur abwenden mit Hilfe meiner ebenfalls starken Eltern, die mit ihrer ganzen Kraft gegen alle Widerstände für mich gekämpft und mich damit – das weiß ich heute – vor Schlimmerem bewahrt haben.
      * https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Klee
      Ernst Klee war damals mein meistgelesener Autor, der mit seiner Person und seinen Werken ein ganz neues Behinderten-Bewusstsein ausgelöst hat, bis an die Grenze zu militanten Aktionen.

  2. Konrad Reinhardt

    Verschickt von 'Königliches Phÿsicat zu Cappeln'

    Ich kann nur einzelne Worte des Schreibens lesen: Es handelt sich wohl um die Einweisung oder Nichteinweisung des 23 Jahre alten Schneiders Peter H….. ……. in die Irrenanstalt in Schleswig.

  3. Hans-Werner Panthel

    1. Ein königlich Cappeler Physicalrat(?), scheinbar mit Namen Traulsen.
    2. Er empfiehlt nach seiner Untersuchung, den 28jährigen Schneider Peter Heinrich J(?)arper wegen dessen "Gemütszustands" und der "Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit" zur "Heilung" in die Schleswiger "Irrenanstalt" aufzunehmen.

  4. Maren Sievers

    ….Peter Hinrich Larsen in Ulsnis.. zum jetzigen Tage . .Der betroffene, 23 Jahre alt, von …ist
    unzweifelhaft mit krankhafter….behaftet…
    Unterbringung in die Irrenanstalt, zur….
    erforderlich zustimmen Last, und …auf…
    mit Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit nun
    …fingen…befriedigen….bestätigen…zur Zeit der
    Untersuchung nicht in meinem….Anstand

  5. Maren Sievers

    die königliche Direktion der Irrenanstalt Schleswig

  6. Heino Küster

    Brief:
    Es geht möglicherweise um die Gesundheitsuntersuchung (geistiger Zustand?) des 28-jährigen Peter Heinrich Jarpsen (?) in Arnis (?)…

  7. Heino Küster

    Siegel:
    Königliches Physicat (?) zu Cappeln

  8. Heino Küster

    Bild oben:
    "die königliche Direction der Irrenanstalt in Schleswig"

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