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Mai 20 2019

Klassentreffen

Dietrich von Horn hat mir heute einen kleinen Bericht von einem Klassentreffen der Abgangsklasse Mittelschule Kappeln von 1961 geschickt, den ich gern (nebst Foto) direkt an euch weitergebe.

Da mir demnächst etwas Ähnliches bevorsteht, bin ich fasziniert, wie man so ein Event in so wenig Worte fassen kann und alles Wesentliche erzählt hat.

Klassentreffen

Klassentreffen. Nach fast 60 Jahren. In einer Gastwirtschaft an der Schlei. Zwölf sind gekommen. Mal sehen, wen man noch kennt. Graue Haare, dünnes Haar. Breites Lächeln, dabei werden Zähne gezeigt, die viel Gold zeigen.

„Sag mal, wer bist du mal noch?“

„Fredi. Ich kam später dazu.“

„Und was machst du?“

„Ich hab eine Gastwirtschaft auf dem Land in Havetoft. Ist heute nicht mehr so ganz einfach.“

„Sach ma, du hast doch damals kein Piep und kein Papp gesagt.“

„Und anders rum? Wenn man viel redet, muss das ja nicht heißen, dass man was zu sagen hat.“

„Ja, da hast du auch wieder recht.“

Der Textverfasser unterbricht hier und versucht mit dem Bedienungspersonal Augenkontakt herzustellen.

„Ich hätte gern ein Bier.“

Annegret ist extra aus Vancouver gekommen.

Ein Programmpunkt ist eine Fahrt mit einem Raddampfer.

„Annegret, wie heißt Raddampfer auf Englisch?“

„Paddle wheeler.“

„Das hört sich aber komisch an.“

„Findest du?“

„Ja, finde ich.“

Das Schiff fährt die Schlei aufwärts, an tausenden von Segelbooten vorbei.

„Das sind ja Milliardenwerte, die da liegen.“

Schleimünde liegt im Nebel. Die Ostsee ist nur zu erahnen. Eine halbe Stunde Aufenthalt.

„Weißt du , Lehrer XY. Der wollte mir mal an die Wäsche. Ich bin fast erstarrt und hab mich nach dem ersten Schock aus seiner Umarmung winden können.“

„Ach, das hätt ich jetzt nicht gedacht. Hast du das deinen Eltern erzählt?“

„Nein, wo denkst du hin.“

„Und der Mathematiklehrer. So´n richtiger Kleinbürger, der seine Gefühle nicht im Griff hatte und wild um sich schlug, wenn sein Weltbild in Frage gestellt wurde. Einmal schlug er so fest auf Schorsch Schmidt ein, dass ihm dabei fast seine Armbanduhr vom Handgelenk rutschte.“

„Und was ist mit dem Geschichtslehrer und seinen Nazimethoden? Terror im Klassenzimmer. Immerhin weiß ich seinetwegen heute noch, dass Otto der Große 962 sich in Rom zum Kaiser krönen ließ.“

Schwarzweißbilder von den Klassenfahrten werden rumgereicht. Die Klasse vor dem Heidelberger Schloss, in der Lüneburger Heide, auf Sylt vor einem Hünengrab.

Am Ende wird ein Text verlesen, sinngemäßer Inhalt:

Wenn du nach 1970 geboren wurdest, brauchst du nicht weiterzulesen.

Die anderen werden sich aber noch erinnern: Auto ohne Sicherheitsgurte, das Bad wurde nur einmal in der Woche geheizt, die Betten wurden mit Farben voller Blei und Cadmium bemalt. Fahrradfahren ohne Helm. Beim Fußball durfte man nur mitspielen, wenn man gut war.

Meine Güte, was waren wir doch für geile Typen. Und wir sind nicht daran gestorben.

„Hallo, ich hätte gerne noch ein Bier.“

„Ey, denk dran, du musst noch fahren.“

„Ja, ja.“

In drei Jahren wiedertreffen?

„Ja, klar!“

Schleimünde - Foto: Dietrich von Horn (18.05.2019)

2 Kommentare

  1. Regina Blätz

    Mein Kompliment für die tolle Aufnahme. Ich bin ganz fasziniert

  2. Runa Borkenstein

    MITTAGSSTUNDE in Schleimünde
    alles geht – nicht ist hier Sünde
    ewige Wellen
    im Wind, manchmal auch ohne
    betrachtet von oben
    vielleicht von'ner Drohne.

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