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Jun 14 2012

Gerda Schmidt-Panknin

Im Bilderrätsel Nr. 95 über die Rikate hatte ich geschrieben, dass Nicolaus Schmidt „vielleicht mal einen etwas ausführlicheren Beitrag über Gerdas Kate verfassen“ würde. Das ist inzwischen geschehen, wofür ich mich ganz herzlich bedanke. Ich freue mich, euch diesen Beitrag jetzt exklusiv in den SchulZeitReisen präsentieren zu dürfen.

Gerda Schmidt-Panknin

von Nicolaus Schmidt

aus ROTSTIFT 13/1965An Gerda Schmidt-Panknin führte in den 50er- bis 70er-Jahren an der Klaus-Harms-Schule kein Weg vorbei. Lange Jahre war sie die einzige Kunsterzieherin an der Schule. Falls man dies einmal untersuchen würde, so käme wohl heraus, dass die Klaus-Harms-Schule besonders in den 70er-Jahren das Gymnasium in Deutschland war, das die meisten Schüler (bezogen auf die Größe der Schule) als Kunst-Studenten vor allem an die Hochschule für Bildende Künste in Hamburg oder die Muthesius-Schule in Kiel entsenden konnte – dank der Arbeit Gerda Schmidt-Panknins.

Gerda (ich bleibe der Einfachheit halber mal bei der persönlichen Anrede) wurde 1920 als Tochter des Lehrers Otto Schmidt in Lüchow (Herzogtum Lauenburg) geboren. Die Familie zog 1935 nach Kappeln um. Dies war das Jahr, als Schleswig-Holstein im nationalsozialistischen Deutschland zum Mustergau wurde und auch Kappeln und die Klaus-Harms-Schule hier ihre Rolle spielten. Am 7. November des Jahres meldete der Schleibote, dass „93,5 % der Klaus-Harms-Schüler in der HJ seien, die Schule somit die Berechtigung erworben habe, die Fahne der Hitlerjugend zu hissen.“ 1

Studium

Nach dem Abitur 1938 musste Gerda wie alle anderen Schulabsolventen auch ein Jahr „Arbeitsdienst“ leisten, um dann zum Studium an die Nordische Kunsthochschule nach Bremen zu gehen. Diese Kunstakademie war die einzige Neugründung unter den Nationalsozialisten, der Name sollte Programm sein. Die Schule sollte „schöpfend aus dem Urgrunde deutsch-nordischen Volkstums, mitarbeiten am Aufbau arteigener Kultur im Sinne Adolf Hitlers.“ 2

Trotz dieser Vorgaben fand Gerda an der Hochschule Lehrer, die eine Distanz zu dieser nationalsozialistischen Kunstideologie wahrten. Sie hat die Spannungen und auch Auseinandersetzungen unter den klaren Befürwortern und denjenigen Professoren, die diese kritische Distanz wagten, bewusst erlebt und konnte deshalb die Jahre nach 1945 trotz aller materieller Widrigkeiten sofort als positiven Beginn einer neuen Zeit erleben.

Das Kriegsende hat sie in Kappeln erlebt und in den ersten Monaten unter anderem als Übersetzerin für die englische Verwaltung gearbeitet. Aus dieser Zeit stammt auch ihre Schilderung des damaligen Kappelner Rathaussaales, in dem sich seit 1937 eine raumumspannende, auf ein Hitlerporträt ausgerichtete Wandmalerei von Gerhart Bettermann befand. Das Hitlerporträt war im Sommer 1945 auf die Schnelle durch ein Gemälde ersetzt worden, das einen Blumenstrauß darstellte. Zwei Figuren der Wandmalerei grüßten nunmehr einen Blumenstrauß mit erhobenem Arm – Gerda kann sich heute noch über solche Dinge diebisch amüsieren. Sie ist als Zeitzeugin übrigens 2011 auch von einem Forschungsinstitut aus Köln zur Nordischen Kunsthochschule befragt worden.

Kunsterzieherin an der Klaus-Harms-Schule

In den Nachkriegsjahren war es nahezu unmöglich, als freischaffende Künstlerin zu überleben. Gerda gab deshalb Volkshochschulkurse und zu ihren damaligen Schülern gehörte ein junger Flüchtling aus dem Baltikum, der sein Geld bei einer Malerfirma verdiente, Siegfried Jonas. Dieser wurde dann ab 1952 der erste Student an der Hamburger Kunsthochschule, der seine Anregungen bei Gerda Schmidt-Panknin erhalten hatte. Nachdem Jonas in Hamburg u. a. als Hafenarbeiter gearbeitet hatte, erhielt er später eine Professur an der Hamburger „Hochschule für Gestaltung“. Gerda selbst ergriff ebenfalls 1952 die Möglichkeit, eine Lehrerstelle an der Klaus-Harms-Schule zu erhalten. In diesen Jahren waren Lehrer in Deutschland so gesucht, dass z. B. pensionierte Lehrer wie Dr. Nagel oder Dr. Bürgin in Kappeln auch nach der Pensionierung noch unterrichteten oder aber Hochschulabsolventen die Möglichkeit erhielten, sich in relativ kurzer Zeit zu Lehrern fortbilden zu lassen.

Klaus-Harms-Schule - Brennofen im Werkraum (1961)Nachdem Willi Lassen dann Direktor wurde, konnte Gerda Schmidt-Panknin über das bloße Unterrichten hinaus Einfluss auf das kulturelle Klima der Schule nehmen. Alte Bilder wurden (auch im Lehrerzimmer) abgehängt, stattdessen wurden Schülerarbeiten im ganzen Gebäude gezeigt und dies im relativ schnellen Wechsel. Für uns Schüler war dies eine große Motivation. Mit dem großen Umbau des Kellergeschosses kam zum traditionellen Zeichensaal unter dem Dach ein großer Werkraum hinzu, für den dann später ein großer Brennofen für die Keramik angeschafft wurde. Dies war für ein kleines Gymnasium schon eine ziemliche Ausgabe.

Klaus-Harms-Schule - Willi LassenDas Team Lassen/Panknin funktionierte auf der Basis eines gemeinsamen polyglotten, heute würde man sagen „global orientierten“ Kulturverständnisses, das für die kleine Stadt Kappeln gewöhnungsbedürftig war, da man ja gerade erst von außen eine andere politische Farbe, eine andere Kultur aufgepfropft bekommen hatte (eine wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus hat es bis heute in Kappeln nicht gegeben). Willi Lassen hatte einen persönlichen Hintergrund, der sich dermaßen konträr zur Kappelner Nachkriegsrealität verhielt, dass er in Gerdas – in keine Konvention passende – Art emotional eine große Stütze und ein zum Umgang mit dieser Realität notwendiges Echo fand.

Willi Lassen und Gerda hatten sich beide nach 1945 in St. Peter-Ording aufgehalten, wo Lassen bis 1955 Direktor der „Berliner Oberschule St.-Peter-Ording“ und Gerda Mitglied des „Baukreises“ in St. Peter war.

Über Gerdas Wirken als Lehrerin gab es unter den Schülern durchaus unterschiedliche Ansichten. Willy Christensen hat mir einmal eine Begebenheit erzählt, die mir entfallen war, die ihn aber bewogen hatte, in der Oberstufe Musik und nicht Kunst zu wählen. Gerda Schmidt-Panknin / Reinhard Wendt (1968)Bei der jährlichen Vorlage der „Mappe“ (jeder hatte seine über die Monate angefertigten Arbeiten in einer Mappe zu sammeln) soll Uwe Naeve ihr unter anderem ein Bild vorgelegt haben, das von mir stammte und von ihr zuvor mit einer „Eins“ bewertet worden war. Uwe erhielt dafür eine „Vier“ und Willy wie auch Uwe waren ziemlich empört. Dies schien ihnen eine reine Persönlichkeitssache zu sein. Willy wählte also Musik und hat es dann hinterher, wie er heute sagt, ziemlich bereut. Vielleicht war die „Vier“ auch nur Gerdas diplomatische Art, auszudrücken, dass das vorgelegte Bild nicht Uwes eigenes war? Die Bewertung von künstlerischen Arbeiten ist extrem schwierig und manchmal schwer zu vermitteln, dies weiß ich aus eigener Erfahrung, da ich 15 Jahre selbst als Kunsterzieher tätig war. Ich bin mir aber sicher, dass Gerda hier ein profundes und klares Urteil hatte.

G. Schmidt-Panknin mit N. Schmidt - Foto: © Christoph Radke (80er-Jahre)Sehr viel wichtiger erscheint mir der Fakt, dass sie soviel Begeisterung und Interesse für Kunst und Ästhetik in etlichen Schülergenerationen wecken konnte. Für nicht wenige wie auch für mich hat ihr Einfluss bewirkt, dass wir unser Leben doch in einer etwas anderen Art angegangen sind, als dies von unserem Elternhaus oder dem allgemeinen Umfeld her zu erwarten gewesen wäre. Nachdem zuerst Siegfried Jonas und Peter Nagel mit Gerdas Unterstützung den schwierigen Zugang zur Hamburger Kunsthochschule am Lerchenfeld meisterten, gab es dort in den 70er-Jahren gleichsam eine Invasion aus Kappeln. Zu diesen Studenten und späteren Kunsterziehern und/oder Künstlern gehören Ute von Bülow, Peter Heber und Jan Wuhnsen. Hansjörg Schneider wurde parallel an der Muthesius-Schule in Kiel aufgenommen. Eine derart große Zahl von Kunststudenten aus einem kleinen Provinzgymnasium ist eine absolute Ausnahme, die sich nur mit der Person Gerda Schmidt-Panknin und ihrem besonderen Engagement erklären lässt. Man muss hierbei wissen, dass der Studienzugang an Kunstakademien nicht über Zensuren, sondern über das Einreichen von – da haben wir es wieder – „Mappen“ läuft. Hier waren wir Kappelner Schüler ja einschlägig vorgebildet und konnten uns erstaunlich oft gegen die enorme Konkurrenz durchsetzen – schon bei mir waren es keine 10 Prozent der Bewerber, die aufgenommen wurden.

Schülerarbeit - aus ROTSTIFT 20/1969Was aber machte denn nun das Besondere an Gerdas Unterricht aus? Sie vermittelte den Schülern einerseits über die Jahre verteilt ein breites Spektrum künstlerischer Techniken, wie vom guten Kunstunterricht gefordert, altersgemäß angepasst und unterschied sich damit gar nicht soviel von anderen gestandenen Kunsterziehern. Sie hatte als Malerin zusätzlich aber ein Gespür und ein Verständnis vom Wesen, von den künstlerischen Besonderheiten dieser Techniken und konnte dies den Schülern auch vermitteln. Es ging weniger um eine Technik, um das „richtig Abgezeichnete“, es ging um den adäquaten künstlerischen Ausdruck und da wurde auch schon in der Mittelstufe ein unkonventionelles Vorgehen von ihr erkannt und gelobt (ich habe später an verschiedenen Schulen leider erleben müssen, dass es erstaunlich viele Kunsterzieher gibt, die hier Klaus-Harms-Schule - Werkraum (1968)nur eine „Technik“ unterrichten oder nur spezielle persönliche Erwartungen durchzusetzen versuchen). Die frühe Verbindung der praktischen Arbeit mit der Kunstgeschichte war für Gerda eine Selbstverständlichkeit.

Nach etlichen Jahren Praxis kam dann eine Souveränität hinzu, die Unterrichtsatmosphäre so locker zu gestalten, wie dies gerade in Kappeln in den 1960er Jahren kaum zu erwarten war. Willy Christensen war dann auch deshalb neidisch auf uns andere Kunstleute, weil wir unten im Werkraum nicht nur sehr frei in einer Art Werkstatt arbeiteten und uns dabei unterhalten, sondern eben auch eine rauchen (!) konnten. Ich war damals zum Glück noch bei der Peter Stuyvesant und noch nicht auf die Roth-Händle umgestiegen.

Studiogalerie 72 / Treffpunkt für ehemalige Schüler

Nicolaus Schmidt - Schülerarbeit (1971)Spätestens mit unserem Jahrgang (Abitur 1971) hatte Gerda dem Oberstufenunterricht einen Werkstattcharakter gegeben, in dem jeder zunehmend seine eigenen Projekte verfolgen konnte. Wurden schon seit Jahren die Schülerarbeiten im Schulgebäude gezeigt, so veranstaltete sie nun einmal im Jahr mit den Schülern des Abiturjahrganges eine Art Abschlussausstellung, in der extra der Zeichensaal umgeräumt wurde und der komplette Eingangsbereich der Schule über das Treppenhaus bis hin eben zum Zeichensaal zu einer Ausstellungsfläche umgewandelt wurde. Einladungen wurden in Kappeln verteilt und es kamen außerhalb der Schulzeit Besucher nicht nur aus dem Kreis der Eltern. Das Ergebnis war ein Motivationsschub, der im folgenden Jahrgang zu einem noch intensiveren Arbeiten führte, so dass Gerda zusammen mit Schülern des Nicolaus Schmidt - Schülerarbeit (1971)Abschlussjahres 1972 den Verein „Studiogalerie 72“ gründete. Von der Stadt erhielt der Verein einen Raum im Dachboden der ehemaligen Volksschule, der selbst renoviert wurde und nach der Schulzeit von interessierten Schülern zum Arbeiten oder auch einfach als Treffpunkt genutzt werden konnte. Zu den Gründungsmitgliedern zählten viele meiner ursprünglichen Mitschüler aus der Sexta, die als Folge der damaligen Schulphilosophie eine Klasse wiederholen mussten und eben erst mit dem 72er Abitur die Schule verlassen konnten. Dank Gerda hatte sich aber für viele dieses Extrajahr gelohnt. Auch heute noch erzählen viele begeistert von der damaligen lockeren und produktiven Atmosphäre. Die Studiogalerie 72 wurde u. a. gegründet von Burkhard Beierlein, Cornelia Bothe, Keike Johannsen und Günter Wasserberg. Nach dem Abitur fungierte der Raum der Studiogalerie für viele, auch für Hans-Jürgen („Gurke“) Rust, den wir ja damals eher als Musiker kannten, als Treffpunkt, an dem Studienpläne diskutiert wurden, kreativ gearbeitet oder auch nur ein paar Gläser Rotwein getrunken wurden.

Gerdas Kate (1) - Foto: © Christoph Radke (80er-Jahre)In den 70er-Jahren wurde dann auch in Kappeln die reformierte Oberstufe eingeführt und Gerda beklagte sich zwar über manche Unsinnigkeit dieser Reform, wusste aber auch einige Einrichtungen, wie die Einführung des Kunst-Leistungskurses oder die Projektfahrt in der Oberstufe zu nutzen. Mit leuchtenden Augen berichtete sie mir damals von einem neuen Schülerjahrgang, der es im Töpfern zu einer solchen Meisterschaft brachte, dass sie nur staunte. Die größten Objekte passten gerade einmal knapp in den Brennofen. Mit diesem Jahrgang, zu dem Jan Wuhnsen und Peter Heber gehörten, unternahm sie dann die legendäre Projektreise nach Griechenland, ihrem Traumland aus den 60ern, in dem sie immer noch über gute Kontakte verfügte. Gerda hatte zum Abschluss ihrer „Karriere“ als Kunsterzieherin eine Steigerung geschafft, in der es nur vernünftig war, auf diesem Höhepunkt auszusteigen. 1977 konnte sie dann nach 25 Jahren als Lehrerin bedingt durch Gerdas Kate (2) - Foto: © Christoph Radke (80er-Jahre)einige gesundheitliche Probleme vorzeitig in den „Ruhestand“ wechseln.

Der Verein Studiogalerie 72 lebte auch nach der Aufgabe des Raumes in der ehemaligen Volksschule fort. Es wurden Ausstellungen in Kappeln, aber auch in Faaborg in Dänemark organisiert. Treibende Kräfte waren Hansjörg Schneider, Peter Heber und Ute von Bülow. Am 2. Weihnachtstag trafen wir uns jährlich bei Gerda in der Kate in Ellenberg. Der Termin war an das Ehemaligentreffen, anfangs noch im Strandhotel in Kappeln, angelehnt. Einerseits wurde – kurz – von Jan Wuhnsen das jährliche Zeremoniell einer Mitgliederversammlung mit Tagesordnung und Verlesung des Kassenstandes durchgezogen, anderseits erzählte jeder einfach die Geschichten, die er im Verlaufe des vergangenen Jahres erlebt hatte, erzählt. Das Ganze war urgemütlich, der niedrige Raum mit den Holzbalken, Gerdas Bildern an den Wänden und schwarzen Bücherregalen wurde von Kerzen erleuchtet, es gab reichlich Rotwein, anfangs auch Martini, dessen Geschmack sich in meiner Erinnerung mit dem Öl- und Terpentingeruch von Gerdas Bildern mischen. Gerdas Kate (3) - Foto: © Christoph Radke (80er-Jahre)Gerda war mit diesen Treffen (viele besuchten sie aber auch über das Jahr verteilt allein) ein Anlaufpunkt für viele ehemalige Schüler geworden, an dem über alles diskutiert werden konnte, was gerade anlag. Mit dabei waren natürlich auch viele, die kein künstlerisches Studium gewählt hatten, allen voran Horst Lauenstein, der mit Gerda ganze Nächte durchdiskutierte. Über die Jahre kamen immer wieder neue Leute dazu, Kommilitonen, Freunde oder später dann Ehepartner von uns „Ehemaligen“.

Nachdem Gerda ihre Kate verkauft hatte, war der Treffpunkt die Veranda ihres Hauses in der Flensburger Straße oder später für einige Jahre auch das Restaurant „Inhof“. Für mich wurde die Anfahrt seit meinem Umzug nach Berlin 1991 dann ein ziemliches Problem, so dass ich in den letzten Jahren leider nur meine telefonischen Grüße ausrichten konnte. Ein Gast der letzten Jahre im nunmehr sehr kleinen Kreis ist übrigens Siegfried Jonas, der selbst schon über 80 ist und immer noch blendend aussieht – wie eine Mischung aus Pierre Brice und Alain Delon. Das Treffen wird auch 2012 wieder am 2. Weihnachtstag nachmittags in der „Palette“ stattfinden, auch wenn der Verein schon längst sein Leben ausgehaucht hat.

Die drei Fotos von Christoph Radke entstanden in den 80er-Jahren bei Treffen der Studiogalerie 72 in der Kate in Ellenberg, u. a. mit Anke Olsen, Hansjörg Schneider, Ute und Harry von Bülow, Gerda Schmidt-Panknin (Bild 1), Ute und Harry von Bülow, Anke Olsen (Bild 2) und Peter Grieve, Horst Lauenstein, Kai Müller, Peter Heber, Hansjörg Schneider (Bild 3).

Künstlerische Arbeit

Gerda hatte zwar auch während ihrer Lehrertätigkeit erstaunlich viel gemalt und etliche Ausstellungen, z. B. in Athen, Flensburg, Hamm oder Husum, bestritten. Nach 1977 konnte sie aber ihre Produktion noch einmal intensivieren. In den 50er-Jahren waren ihre Arbeiten noch stark am Expressionismus angelehnt. Es existieren allerdings meist nur Holzschnitte aus dieser Zeit, da Gerda viele Bilder aus diesen Jahren aussortiert und zerstört hat. Sie hatte in diesen Jahren eine Roma-Familie kennengelernt und Freundschaften geschlossen mit den Menschen, die noch wenige Jahre vorher in Deutschland verfolgt worden waren. Ihre Porträts der Roma brachten ihr die Anerkennung von Otto Pankok ein, der 1957 einen Sommer lang in Hasselberg gemalt hatte und sie in ihrem Atelier besuchte.

aus ROSTIFT 9/1962Die Griechenlandbilder dann um 1960 herum – sie besuchte zu dieser Zeit Griechenland insgesamt zwölfmal – waren vom Lichterlebnis geprägt, mit sehr hellen und durchsichtigen Tönen. Ein Kontrast dazu bildeten später ihre Bilder von Gesichtern der Menschen, die sie auf den Reisen in den Jahren um 1970 herum in den Ländern der Sowjetunion kennenlernte. Beeindruckt von der russischen Ikonenmalerei herrschten jetzt dunkle Töne vor, Farbe begann aus der Tiefe zu leuchten. Die „Tiefe“ kann man dabei ruhig wörtlich nehmen, weil sie in diesen Jahren mit einem unglaublichen Farbauftrag, mit dazu gemischten Materialien wie Sand und Sägespänen gearbeitet hat. Manche ihre Bilder aus diesen Jahren sind heute noch nicht zu 100 Prozent durchgetrocknet.

aus ROTSTIFT 9/19621980 unternahm Gerda, immer zusammen mit ihrem Lebenspartner Gerhard Hinzpeter, der Ende der 1950er Jahre Referendar an der Klaus-Harms-Schule war, die erste Reise in den Norden, nach Skandinavien. Ein Grund war, dass sie mit der Hitze Griechenlands oder auch der zentralasiatischen Länder im Sommer nicht mehr umgehen konnte. Ein zweiter ergab sich daraus, dass sie immer auf der Suche nach einer Ursprünglichkeit war, einer Ursprünglichkeit sowohl von Landschaften als auch von Menschen. Eine solche Archaik fand sie anfangs in Griechenland, bevor der Tourismus dort im größeren Stil Einzug hielt, dann in den zentralasiatischen Regionen und schließlich im Norden bis hin zu den Inuit auf Grönland.Gerda Schmidt-Panknin - Kolja/Nowgorod ³

Gerdas Bilder sind keiner Strömung zuzuordnen. Pop Art, Realismus oder Minimal Art waren Tendenzen in diesen Jahren, in denen sie ihren eigenen Weg ging. Hier spielte die Malerei als solche, das Material der Farbe, eine wichtige Rolle. Gerda hat gerade auch in den letzten Jahrzehnten gut verkauft, ihre Bilder finden sich in etlichen Privatsammlungen. Ein sehr großer Teil ihrer Bilder wird heute vom Flensburger Museum, heute „Museumsberg“ behütet. Nachdem schon das damalige „Städtische Museum“ 1962 eine große Ausstellung ihrer Arbeiten organisiert hatte, entwickelte sich dann zu Ulrich Schulte-Wülwer, dem Direktor der Jahre bis 2009, eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft.

Gerda konnte noch bis hoch in ihre 80er-Jahre arbeiten, zuletzt entstanden einige sehr intensive Porträts, die sie auf die Rückseite von Teppichbodenmaterial malte. Hieraus ergab sich eine ganz eigentümliche Spannung zwischen den sehr farbigen Porträts und dem spröden, blassen Material. Auch mit fast 92 Jahren liebt sie das Gespräch und ein gutes Glas Wein oder Sherry. Sie freut sich, „uns“ wieder zu treffen. Ich kann mir vorstellen, dass sie – vorausgesetzt, es geht ihr gerade gut – einem spontanen Besuch einer ihrer ehemaligen Schüler/innen nicht abgeneigt ist. Ein Anruf ist einen Versuch wert.

Nicolaus Schmidt  –  Arnis/Berlin, Mai 2012


Der Text basiert auf eigenen Erlebnissen, Gesprächen sowie den Texten aus den Katalogen zu ihren Ausstellungen. Eine Kurzdarstellung ihrer Vita findet sich in der Wikipedia.

1 Fritz-Werner Dehncke, Die Geschichte Kappelns während der Zeit des Nationalsozialismus,
Kappeln 1988, S. 33
2 Wikipedia, „Nordische Kunstschule“, abgerufen am 31. Mai 2012
3 Gerda Schmidt-Panknin, Kolja/Nowgorod – Öl und diverse Materialien auf Holzgrund, 1971
© Gerda Schmidt-Panknin & Nicolaus Schmidt (Reproduktion)

4 Kommentare

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  1. Nicolaus Schmidt

    Oh, wieder eine Information mehr. Gerda hat also schon „vorher“ geübt. Danke.

    Grüße aus dem Pierspeicher in Kappeln mit einem tollen Blick über die Schlei und Kappeln.
    Habe natürlich KEINEN Fotoapparat dabei.

    lg
    Nicolaus

  2. Heino Küster

    Ich kann mich nur anschließen: ein sehr schön recherchierter, liebevoll geschriebener und aufschlussreicher Artikel von Nicolaus – Chapeau!

    Eine Information möchte ich aber ergänzen. Meine Mutter hatte in der 9./10. Klasse der Mittelschule (bereits 1949/1950) Zeichnen und Kunsterziehung bei „uns Gerda“.

    LG
    Heino

  3. Rolf Nagel

    Das ist ein sehr interessanter und informativer Bericht, den ich gern gelesen habe. – Auch die Hinweise zur NS – Zeit in Bezug auf Kappeln finde ich sehr angebracht und angemessen. Auch ich hatte immer den Eindruck, das „Kappeln“ bis heute diese Zeit in keiner Weise „bearbeitet“, geschweige „aufgearbeitet“ hat. Das Buch von F.W. Dehncke , den ich als Schulleiter der Grund- und Volksschule in Erinnerung habe – , ist auch aus meiner Sicht eher eine Art „Beschwichtigungs-Literatur“. – Leider wird es wohl nicht mehr geschehen , das aus der heutigen Zeit heraus die Entwicklungen und Geschehnisse in der damaligen Zeit auf handelnde Personen bezogen (!) recherchiert werden (können). – Es wäre sicherlich sehr interessant zu erfahren, wie konkrete Persönlichkeiten, die in den Nachkriegsjahren im kleinstädtischen Mikrokosmos zur gesellschaftlichen „Elite“ zählten ( Geschäftsleute, Ärzte, Rechtsanwälte, Freiberufler UND Lehrer….) , sich in diesen Jahren – positiv oder negativ – verhalten haben….

  4. Nicolaus Schmidt

    Noch ein paar Angaben zum Buch „Fritz-Werner Dehncke, Die Geschichte Kappelns während der Zeit des Nationalsozialismus“:
    Das Buch scheint im Selbstverlag herausgekommen zu sein, ohne Jahresangabe, vermutlich 1988.
    Der Titel verspricht mehr, als das sonst aber durchaus interessante Buch hält. Es basiert auf den Artikeln des Schleiboten v.a. der Jahre 1933-45. Da die Zeitung sofort „gleichgeschaltet“ und auch vorher schon recht NSDAP-freundlich war, ist das Ergebnis, wie auch F-W Dehncke schreibt, sehr gefiltert. Trotzdem lohnt sich die Lektüre. Manche Ergebnisse, die sich nur aus dieser Zeitungsauswertung ergeben, relativiert Dehncke aber wieder, indem er nicht genannte „Zeitzeugen“ befragt hat und deren Einschätzungen für wichtiger hält. Nach deren Meinung seien die hässlichen Seiten des Nationalsozialismus in Kappeln das Werk von „Buten-Kapplern“ gewesen. Wichtig zu wissen ist dabei wiederum, dass auch die Wähler in Kappeln schon vor 33 ein starkes NSDAP-Votum abgegeben hatten. Die Einschätzung der nicht genannten „Zeitzeugen“ ist deshalb stark anzuzweifeln.

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