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Feb 02 2022

Konfirmationsgeschenke

Noch ein Kapitel aus Eckehards „Soundtrack of my life“ – chronologisch anzusiedeln vorJørgen de Mylius“.

1965 – Suzanne

von Eckehard Tebbe (2011)

Konfirmation - Sieseby 1965

Am 28. März 1965 werde ich in Sieseby konfirmiert. Hab ich mir auch redlich verdient, wo ich doch zwischen 1960 und 1963 jeden Sonntag in der Preetzer Klosterkirche beim Kindergottesdienst anwesend bin. Wie es sich eben für einen anständigen Jungen gehört, der im Haushalt des Predigerseminar-Leiters lebt.

„Kämpfe den guten Kampf des Glaubens …“ – Timotheus 6, Vers 12 – mein Konfirmationsspruch.
Ob ich ihn damals wirklich richtig verstehe, bezweifle ich heute.

Die penetrante Aufsässigkeit späterer Jahre ist sicher nicht damit gemeint, als ich BILD-Zeitungen verbrenne und mir bei Ho Tschi Minhs Ableben – fast den Tränen nahe – eine Trauerbinde über den Oberarm schiebe. 1965 singe ich nicht einmal Lieder von Bob Dylan oder – eine Nuance schlimmer – Franz Josef Degenhardt. Ich bin mir damals gar nicht bewusst, dass es sowas wie Schmuddelkinder überhaupt gibt. Diese Phase der Weltgeschichte verbringe ich sozusagen noch vorrevolutionär …

Am Konfirmationssonntag nehme ich also erfolgreich am Gottesdienst teil, sage ein paar Bibelverse auf und absolviere das überlieferte Ritual. Damit erwerbe ich auch das angestammte Recht auf ein erkleckliches Bündel an Pretiosen. Darunter sind ca. sieben Brieftaschen bzw. Portemonnaies, ein damals aktueller Globus, goldene – oder zumindest vergoldete – Manschettenknöpfe, ein ausnehmend schicker Füller und allerhand weitere Geschenke, von denen heute noch der Globus und eine schwarze Schweinslederbrieftasche existieren. Wenn ich mich recht erinnere, bekomme ich letztere Geschenke von Onkel Walter und Onkel Hans-Georg, zweien meiner drei Paten. Die Manschettenknöpfe stufe ich umgehend als unter meinem Niveau ein. Würde ich jemals gezwungen, sie als Zierde meines frischen Nyltest-Hemdes anzulegen, versänke ich unter dem Späherblick eines aufmerksamen Kumpels spontan im Erdreich. Ich schwöre …

Das für mich wichtigste Präsent bekomme ich allerdings erst Tage später. Ich wünsche mir ein Tonbandgerät. Man wird sich denken, weshalb.

Vater blättert also im Anzeigenteil der ‚Kieler Nachrichten‘ und findet tatsächlich ein Inserat, in dem ein gebrauchtes ‚GRUNDIG TK 19‚ angepriesen wird. Er ruft umgehend bei dem ignoranten Typen an, der dieses damals nur für die betuchten Enkel Rockefellers neu zu erwerbende Gerät verkaufen will und einigt sich mit ihm auf den lächerlichen Preis von 250 DM. Die Nachricht lässt mich einige Meilen über dem Teppich schweben. Ein freudiges Fieber, das allseits bekannte ‚Rockin‘ Pneumonia & Boogie Woogie Flu‘ breitet sich in meinen Innereien aus wie ehedem die Spanische Grippe.

Schon am Montag oder Dienstag fahren wir nach Kiel und holen das Wunderwerk der aktuellen Magnetbandtechnik samt Bananenstecker-Überspielkabel und einiger noch akzeptabler BASF-Bänder ab. Auf der kompletten Rückfahrt habe ich es auf dem Schoß. Ich bringe es auf diese Weise schon mal auf eine angemessene Betriebstemperatur.

Was außerdem noch um mich herum passiert, tangiert mich nur jenseits aller Horizonte. Der sonst übliche Blick von der Levensauer Hochbrücke hinunter auf die in Slow Motion dahingleitenden Schiffe in der Fahrrinne des Nord-Ostsee-Kanals fällt heute aus, und meine Augen schweifen auch nicht über die Eckernförder Bucht rund um die Torpedo-Versuchsanstalt. Alles unwichtig. Sie sind auf mein TK 19 geheftet, streicheln es in Erwartung der Sensationen, die es verspricht. Ich weiß, dass es mir den grenzenlosen Äther erschließen wird. Ich werde von heute an die Welt am Draht haben.

Wir kommen zuhause an. „Hansi, kann ich mal dein Kofferradio haben?“ Mein älterer Bruder leiht es mir großzügig aus und macht mich damit zum Herrscher über alle verfügbaren Sender zwischen Palermo und dem Nordkap, so sie denn ultrakurzwellentauglich sind.

Da ist nur eine Steckdose in Schreibtischnähe. Verdammt! Gibt es nicht einen Doppelstecker in Vaters Zimmer? Na klar. Vater sieht augenblicklich ein, dass ich im Falle einer Verweigerung infarktgefährdet bin und gibt ihn mir.

Es ist so weit. Die Anschlüsse sind fachmännisch installiert, das Band ist Sekunden später eingefädelt, der NDR ist online, und die rote Aufnahmetaste samt Pause und Play sind gedrückt. Los, schickt mir die Jungs aus Liverpool ins Haus. Oder Helen, Louis, Bill oder sonstwen aus der langen Riege meiner angebeteten Heroen. Hört endlich auf, mich mit Nachrichten vollzusülzen. Nein, mich interessiert momentan nicht einmal der Mord an Charles Moore und Henry Dee. Gebt mir jetzt den Rock oder den Beat. Meinetwegen auch den Blues. Aber gebt mir endlich Musik …

Suzanne Doucet - Single-Cover (1964)

Sie geben mir Suzanne Doucet: ‚Okay, ich geh‘. Der erste Song, den ich jemals abspeichere. Und ihr könnt ihn finden wie ihr wollt. Mir ist klar, dass weder Phil Spector noch Joe Meek ihn produziert haben. Es ist nicht ‚Pretty woman‘ und nicht ‚Do wah diddy diddy‘, weder ‚Can’t buy me love‘ noch ‚Glad all over‘. Einfach nur ‚Okay, ich geh‘ von Suzanne Doucet. Aber es ist eine Audio-Ikone. Es hat einen unabsteigbaren Platz auf dem Altar meiner Erinnerungen. Gebt mir noch gewaltigere Superlative … Nein, lasst es, ich werde noch welche brauchen …

Nachdem ich nun schon gehörig Max Grundigs Wohlstand gemehrt habe, werde ich in den Folgemonaten zum Hauptsponsor der Badischen Anilin- und Sodawerke. Das TK 19 frisst Bänder wie Dracula der Pfähler seine bedauernswerten Opfer. Ich brauche ständig Nachschub. Zunächst ist das kein Problem, da einige der jetzt in meinem Besitz befindlichen Brieftaschen nicht nur Führerscheinplagiate oder Fotos lächelnder Pin-Ups enthalten. Das Guthaben ist jedoch bald erschöpft. Damals fließen mir nicht die Millionen heutiger Konfirmanden zu. Zu der Zeit schenkt man nicht nur unpersönlichen Zaster. Nein, man denkt an sinnvolle Dinge, z. B. sieben Brieftaschen.

Ich brauche also bald jeden erbärmlichen Groschen meines nicht besonders üppigen Taschengelds für die Aufrechterhaltung des hohen Bedarfs an Tonbändern. The Kinks - LP-Cover (1965)Ich nerve ja auch jeden, der mir zu nahe kommt: „Ey, hast du nicht erzählt, dass du ‚Kinda Kinks‘ hast? Ich hätte auch Verwendung dafür.“ Oder: „Ich hab mir ‚Beach Boys Today‘ gekauft. Wenn du mir ‚Surfin‘ Safari‘ leihst … Ein Ohr wäscht das andere.“

So wächst meine Sammlung mit jedem noch so entfernten Bekannten, der meinem Blick nicht rechtzeitig ausweicht. Mit dem Geschick eines Kalten-Kriegs-Agenten spüre ich geeignete Vinyl-Collections zwischen Holzdorf und Süderbrarup auf und zerfleddere jedes Regal, in dem ein LP-Cover blinkt. Ich werde zum Musikal-Vampir und sauge das Netzwerk um mich herum gnadenlos aus.

Kumpels, die mir nahe stehen, muss ich glücklicherweise nicht lange um einen Gefallen bitten. Sie erzählen mir freiwillig, was sie gerade neu haben und verhalten sich sehr großzügig. Jürgen leiht mir ‚No. 2′ von den Stones, Antje eine seltene EP von Herman’s Hermits, die wir ihr mal anlässlich einer unvergesslichen Party geschenkt haben, Achim bringt ‚Tom Tom‘ von der Creation und ‚Mighty Garvey‘ von Manfred Mann mit, Peter hat ‚Shapes of things‘, ‚Set you free this time‘, ‚No matter what shape‘ …

The Creation - Single-Cover (1967)The Yardbirds - Single-Cover (1966)

Manchmal gibt es auch Kontakte, die völlig unerwartet Lücken in meinem Repertoire füllen. Peter und Norbert, zwei ehemalige Klassenkameraden aus Preetz, kommen mit dem Fahrrad nach Neuteich. Satte 70 km. Nur die Hinfahrt.

Über Norbert bekomme ich dann später ‚The Beatles‘ Beat‘ und ‚Come With Me‘ von Rust.
Letzteres Album ist noch heute eins meiner absoluten Favoriten. Muss ich gleich mal auflegen …
‚Think big‘ und ‚Delusion‘ werden dann wie üblich mindestens fünfmal hintereinander laufen … Oh, Mann, ich hab eine mordsmäßige Macke.

The Beatles - LP-Cover (1964)Rust - LP-Cover (1969)

Wenn in Richtung Fahndung dann doch mal Flaute herrscht, sitze ich vor dem Radio und warte darauf, dass wenigstens diese Quelle sprudelt. Aber zeig mir damals die Formate, die rund um die Uhr Brauchbares von sich geben.
Mireille Mathieu - Single-Cover (1966)

Es sind nur wenige Stunden, jedenfalls auf den soundmäßig gut sendenden Kanälen. So sitze ich sonntags manchmal schon morgens vor dem Blaupunkt-Kofferradio meines Bruders, um auch noch ,Zwischen Hamburg und Haiti‘ auszubeuten. Da spielen sie zwar nur Herb Alpert, Billy Vaughn oder mal Bert Kaempfert, aber mitpfeifen kannst du da wunderbar.

Und schließlich hast du sogar ‚Paris en colère‘ von Mireille Mathieu aus dem Tümpel gefischt. Wehe den Kulturbanausen, die den Song in eine Tonne mit ‚Akropolis adieu‘ werfen. Du brauchst schließlich mal ein paar entspannende Momente zwischen all dem Lärm aus dieser Hafenstadt an der Irischen See. Wie heißt die nochmal …? Du weißt doch, die, die sie rund um den Cavern-Club aufgebaut haben …

Und deine Sammlung wächst und wächst wie die zeckenbesetzten Farne am Waldrand, vergleichbar nur mit dem Anschwellen von Dieter Bohlens aktuellem Konto …

7 Kommentare

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  1. Regina Blätz

    Toll, wie du schreibst, es ist fast als hätte man neben dir gestanden :) und mitgefiebert alle vorhandene Musik einzufangen.
    Sag mal, das Mädchen auf em Foto neben eurem Pfarrer, ist das Marianne Green?

    1. Eckehard Tebbe

      Richtig, Regina, Marianne (die nach ihrer Heirat Krüger hieß) war ja auch in unserer Klasse und hat mit Achim und mir zusammen 1969 Abi gemacht. Du weißt sicher, dass sie im letzten Jahr (9.3.) verstorben ist. Sie hat im Ruheforst in Brodau ihren Frieden gefunden. Leider sind nun schon einige aus unseren Klassen (ich bin ja zwischendurch mal kleben geblieben) verschwunden. Wolfgang, der hier auch immer sehr aktiv gewesen ist, war in meiner ersten Klasse. Ja, das tut schon alles sehr weh. Wie ich beim 50. Jubiläum vor ein paar Jahren in Sieseby erfahren musste, sind auch aus der Konfirmandengruppe schon einige nicht mehr unter uns.

  2. Dietrich von Horn

    Hallo Eckehard, ich erkenne nur Pastor Nissen.

  3. Dietrich von Horn

    Es treibt mich doch noch mal um. Dein humorvoller, entspannter Text ist ein Genuss zu lesen. Und Pastor Nissen steht dabei wie schon 1961 bei meiner Konfirmation.

    1. Eckehard Tebbe

      Vor ein paar Jahren hatten wir in Sieseby, mit anschließender Feier in Winnemark, unser 50-jähriges Jubiläum. Nun bin ich zwar Atheist, aber es war wunderbar, fast alle auf dem Foto gut gelaunt wieder zu treffen. Und mir fielen tatsächlich auch noch einige Namen ein. Zur Erinnerung daran kam eine neue 'Reliquie' bei mir an die Wand, ein kleiner Anhänger mit der Siesebyer Kirche. Mein Zimmer mutiert immer mehr zu einem Museum. Quillt allmählich über.

  4. Dietrich von Horn

    Einfach großartig. Eckehard Klasse!

  5. Heino Küster

    Wow, wie so oft ein echter Eckehard. Die Texte sind einfach ohne Gleichen, das Spiel mit den Worten, immer hintergründig und zum Schmunzeln anregend. Danke, unbedingt mehr davon!!! :cool: :twisted: ;-)

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